Branchen-Reaktionen auf Bundestagswahl
24.02.2025
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Friedrich Merz. Foto: @ Tobias Koch / CDU
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Zur Bundestagswahl äußert sich Dr. Michael Holstein, Chefvolkswirt der DZ BANK: „Die Ampel wurde abgewählt und die Wähler haben klar für einen Politikwechsel gestimmt. Eine deutliche Wirtschaftswende, die Deutschland so dringend braucht, hat aber keine Mehrheit bekommen. Das Ergebnis der CDU/CSU ist am unteren Ende der Erwartungen, die FDP klar an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert. Die politischen Ränder sind gestärkt aus der Wahl hervorgegangen. AfD und Linke haben zusammen eine Sperrminorität und können so künftig wichtige Vorhaben blockieren. Positiv ist, dass es mit Schwarz-Rot für ein Zweierbündnis reichen wird. Das spricht für zügige Verhandlungen. Negativ ist, dass die demokratische Mitte im neuen Bundestag nicht über eine Zweidrittelmehrheit verfügen wird. Für eine Reform der Schuldenbremse wäre man, neben den Stimmen der Grünen, auch auf die Zustimmung der Linkspartei angewiesen. Sie hat schon angekündigt, höhere Verteidigungsausgaben nicht zu unterstützen. Insofern dürften Europäische Defence Bonds zur Finanzierung der notwendigen, höheren Rüstungsausgaben mit diesem Wahlergebnis wahrscheinlicher geworden sein. Die deutsche Regierung war hier bislang in der Bremser-Rolle, die sie nun möglicherweise aufgeben muss. Neben höheren Verteidigungsausgaben sind sicherlich mehr Investitionen in die Infrastruktur und niedrigere Unternehmenssteuern hoch oben auf der Prioritätenliste der Union. Zusammen könnte das der mauen Konjunktur in Deutschland durchaus einen Schub geben.“ (fw)
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Tuan Huynh, Leiter Kapitalmarktstrategie für Deutschland, Österreich, die Schweiz und Osteuropa des BlackRock Investment Institute: „Die CDU/CSU hat die deutschen Bundestagswahlen gewonnen und wird nun Koalitionsverhandlungen aufnehmen. Für eine Koalition zwischen CDU/CSU und den Grünen reichen die gewonnen Sitze nicht aus. Die einzige realistische Zweierkonstellation ohne Beteiligung der AfD ist damit eine Koalition aus CDU/CSU und SPD. Die Marktreaktionen auf eine Koalition mit ausreichend Unterstützung für einen Politikwechsel dürften freundlich ausfallen. Das Hauptaugenmerk der Märkte wird nun voraussichtlich darauf gerichtet sein, ob die neue Koalition die verfassungsmäßige Schuldenbremse lockert, die regelt, wie viel Schulden die Regierung machen darf. Der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz möchte bis Ostern eine Koalition bilden, doch eine Lockerung der Schuldenbremse erfordert Verhandlungen und eine Verfassungsänderung. Die Bundesbank arbeitet an Vorschlägen zu einer Reform der Schuldenbremse, die wir Ende März oder Anfang April erwarten.
Derzeit darf das staatliche Haushaltsdefizit 0,35% des BIP nicht überschreiten. Das ist weitaus strenger als die 3%, die nach den Haushaltsregeln der Europäischen Union zulässig sind. Eine Lockerung dieser Regel könnte mehr staatliche Investitionen auslösen und das lahmende Wirtschaftswachstum ankurbeln. Die CDU/CSU möchte neue Investitionen erleichtern. Mögliche Kürzungen bei Sozialleistungen und anderen staatlichen Subventionen werden auf Widerstand bei der SPD stoßen. Die Grünen werden ihre Unterstützung wahrscheinlich an Klimaschutzzusagen knüpfen. Die Linke, die mit 8,8% der Stimmen deutlich besser abgeschnitten hat als die Umfragen es haben erwarten lassen, wird ebenfalls gebraucht, um die erforderliche Zweidrittelmehrheit im Parlament zu erreichen - und könnte einen hohen politischen Preis verlangen.
Es wird erwartet, dass Friedrich Merz als nächster Bundeskanzler bessere deutsch-französische Beziehungen pflegen wird, als das in der letzten Legislatur der Fall war. Das könnte die EU-Politik in den Bereichen US-Handelszölle, Wettbewerbsfähigkeit, Entwicklung künstlicher Intelligenz und Lücken bei den Verteidigungsausgaben stärken, da Europa nach Ansicht der USA nicht mehr zu den wichtigsten Sicherheitsprioritäten zählt. Merz hat eine zentrale EU-Verteidigungsfinanzierung ins Spiel gebracht, obwohl es dafür noch politische Hürden gibt. Alternativ könnte er einen speziellen nationalen Fonds anstreben, der allerdings ebenfalls eine Zweidrittelmehrheit im Parlament erfordern würde.
Europäische Aktien haben sich in diesem Jahr besser entwickelt als die US-amerikanischen und sind relativ gesehen so günstig wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Da viele schlechte Nachrichten bereits eingepreist sind, könnten selbst die Aussichten auf gute Nachrichten den europäischen Aktienmärkten zu einem Aufschwung verhelfen. Der deutsche Konjunkturaufschwung ist zwar noch in weiter Ferne, aber die regionalen Märkte werden politische Klarheit begrüßen. Eine Deeskalation des Ukraine-Krieges könnte die Energiepreise senken und das europäische Wachstum ankurbeln. Und die EU hat jetzt einen Hauch von Dringlichkeit, der normalerweise zum Handeln anregt: Nächste Woche findet ein Sondergipfel zum Thema Verteidigung statt. Wir rechnen mit weiteren Zinssenkungen der Europäischen Zentralbank in diesem Jahr: Das Wachstum im Euroraum ist nach wie vor schwach und die Inflation hat sich abgeschwächt. Wir halten an unserer relativen Präferenz für Anleihen der Eurozone gegenüber US-Staatsanleihen fest, insbesondere bei langfristigen Anleihen.“
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Jacob Vijverberg, Head of Asset Allocation bei Aegon Asset Management kommentiert die Ergebnisse der Bundestagswahl: „Das Ausbleiben eines unerwarteten Sieges der AfD ist eine kleine Erleichterung für die Finanzmärkte. Bei den letzten Wahlen haben einige rechtsextreme Parteien besser abgeschnitten, als die Umfragen zunächst vermuten ließen. Angesichts der Tatsache, dass die AfD in den Umfragen als zweitstärkste Partei abschneidet und an Dynamik gewinnt, bestand eine geringe Chance auf einen Überraschungssieg der AfD, was ein Schock für die deutsche und europäische Politik und auch die Finanzmärkte gewesen wäre.
Bei einer zu erwartenden Koalition unter Führung der CDU/CSU ist mit einer relativ konservativen Wirtschaftspolitik zu rechnen. Die Partei befürwortet eine „Agenda 2030“ zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands, die Steuersenkungen für Unternehmen und Privatpersonen sowie Anstrengungen zum Abbau von Regulierungen vorsieht. Allerdings könnte es dem Programm angesichts des Ausmaßes der wirtschaftlichen und geopolitischen Herausforderungen an Ehrgeiz fehlen.
Besonderes Augenmerk wird auf der Reform der Schuldenbremse liegen. Seit 2009 ist sie in der Verfassung verankert, um die Haushaltsdisziplin durchzusetzen. Eine Uneinigkeit über eine Lockerung der Bremse war die Ursache für die Regierungskrise.
Die AfD hat nicht mehr als 33% der Sitze erhalten – BSW und FDP haben gar keinen Sitz. Dies erlaubt es diesen Parteien nicht, Verfassungsänderungen zu blockieren, einschließlich einer Reform der Schuldenbremse, die eine 2/3-Mehrheit erfordert. Die Wahlergebnisse zeigen jedoch, dass eine Reform der Schuldenbremse schwieriger wird, da AfD und Die Linke zusammen über genügend Sitze für eine Sperrminorität verfügen.
Mit diesem Ergebnis könnte eine flexiblere Haltung gegenüber der Schuldenbremse erwartet werden, die zusätzliche staatliche Investitionen ermöglicht. Ob die viel diskutierte Schuldenbremse tatsächlich abgeschafft wird, ist jedoch noch lange nicht klar.
Der Wahlausgang ändert nichts an unserem wirtschaftlichen Ausblick für Deutschland. Das einstige Kraftzentrum der Eurozone - und der Weltwirtschaft - ist in den letzten Jahren hinter anderen Ländern zurückgeblieben. Die wirtschaftliche Stagnation lässt sich durch mehrere Faktoren erklären, darunter hohe Energiekosten, die Konkurrenz aus China und eine schleppende Innovationstätigkeit. Die Wachstumserwartungen stehen weiterhin unter Druck, wobei für die kommenden Quartale ein Null- bis leicht positives Wachstum erwartet wird. Dies hängt mit der Schwäche des Industriesektors und anderen tief greifenden Problemen zusammen.
Insgesamt wird das Wahlergebnis als positiver Faktor für die Europäische Union gesehen. Jede wahrscheinliche Koalition wird pro-europäisch sein, obwohl die CDU/CSU eine eher zurückhaltende Haltung gegenüber einer weiteren Integration einnimmt. In den letzten Monaten war das politische Vakuum in Deutschland eine Hürde für deutsche und europäische Entscheidungsprozesse. Jetzt kann Deutschland eine aktivere Rolle in der europäischen Politik übernehmen.“
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Die Auswirkungen der Bundestagswahl auf die Strategie des Asset Managers
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