Der perfekte Sturm

05.09.2022

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Veränderungen in der Kundenbeziehung

Die vierte Gemeinsamkeit der genannten Konzepte besteht darin, dass sie die Beziehung zwischen Versicherern und ihren Kunden neu definieren. Diese Beziehung ist dabei, sich von einer transaktionsbasierten Verbindung in ein beziehungsbasiertes, kollaboratives, partizipatorisches Modell zu verwandeln. Das wollen wir uns näher ansehen. Vernetzte Geräte, Tracker und Plattformen bieten wertvolle Informationen und Erkenntnisse, die sich gewinnbringend nutzen lassen. Das wiederum eröffnet Kunden die Möglichkeit, innerhalb der Versicherungsprodukte und -dienstleistungen eine wesentlich aktivere Rolle einzunehmen. Nehmen wir das Beispiel Gesundheit. Die Quantified-Self-Bewegung und die Verbreitung von Corona-Warnapps machen nicht nur deutlich, dass Kunden ein Bedürfnis nach größerer Kontrolle und Eigenverantwortung haben, sondern auch den Wunsch und die Bereitschaft, sich proaktiv um die eigene Gesundheit zu kümmern. Das gilt nicht nur für den Bereich persönliche Gesundheit und allgemeines Wohlbefinden, sondern auch für die Bewertung von Symptomen, den direkten Kontakt zu Krankenkassen und anderen Gesundheitsanbietern und die Selbstfürsorge. Eine aktive Beteiligung ermöglicht den Kunden, mehr Verantwortung zu übernehmen, sodass sie zu ihrer Versicherungsgesellschaft eine Beziehung auf Augenhöhe pflegen können. Das ist eine grundlegende Veränderung der Beziehung, die eine großartige neue Perspektive für Innovation bietet.

Superfähigkeiten

Mithilfe von Daten können Versicherer ihre Kunden dabei unterstützen, ihr Leben zu verbessern. Aber auch hier ist noch Raum für mehr Ehrgeiz. Versicherungsgesellschaften sollten danach streben, den Verbrauchern mit Hilfe der verfügbaren Daten „Superfähigkeiten“ zu verleihen. Beispiele für derartige technologiebasierte Superfähigkeiten gibt es bereits auf anderen Gebieten.

Denken Sie an 3D-Drucker, mit denen Verbraucher ihre eigenen Produkte herstellen können. Dank maschineller Übersetzer muss niemand mehr eine Fremdsprache lernen. Denken Sie an GPS-Navigationssysteme, die Ihnen helfen, auch ohne Ortskenntnisse jede beliebige Adresse zu finden. Oder denken Sie an sensorgestützte Apps, die blinden Menschen helfen, sich durch eine unbekannte Stadt oder ein unbekanntes Gebäude zu bewegen und sogar vorbeigehende Personen erkennen. Es wäre fantastisch, wenn Versicherer ihren Kunden ähnliche Superfähigkeiten verleihen könnten.

Wechselseitige Beziehung beim Datenschutz

Die Nutzung von Kundendaten ist eng mit Fragen des Datenschutzes verbunden. Das ist keine Überraschung. Versicherungsgesellschaften haben sich nie die Mühe gemacht, ihren Kunden mitzuteilen, was sie mit ihren Daten anfangen, geschweige, dass sie ihnen erklärt haben, wie sie davon profitieren können. Es liegt auf der Hand, dass Versicherer die Sorgen vieler Verbraucher adressieren müssen. Die Antwort ist Reziprozität.

Die Wahrnehmungen der Verbraucher über den Umgang mit ihren Daten werden sich positiv verändern, wenn Versicherer diese dazu nutzen, ihren Kunden die Kontrolle zurückzugeben und ihnen im Gegenzug etwas Sinnvolles anzubieten. Es geht immer darum, mehr zu geben, als man erhält. Der Mehrwert, den Versicherer auf Basis der Kundendaten bieten, sollte in der Wahrnehmung der Kunden größer sein als die Kosten der Datenüberlassung. Versicherer sollten Daten kombinieren, die ihre Kunden nicht selbst kombinieren können, und/oder auf deren Kombination sie selbst nicht kämen.

Verfügbare Date und Datenströme richtig nutzen

Dieses höchst aussichtsreiche Betätigungsfeld ist derzeit noch weitgehend unerforschtes Gelände. Zu 99 % muss es erst noch erschlossen werden. In den kommenden Jahren wird die Menge an verfügbaren Daten explosionsartig ansteigen. Parallel dazu werden auch die Möglichkeiten, diese Daten gewinnbringend zu nutzen, exponentiell zunehmen. Denken Sie nur an die Fortschritte auf den Gebieten KI und Machine Learning, und kombinieren Sie das mit den Vorteilen des Cloud-Computing.

Zusammengenommen werden diese Faktoren eine beispiellose Innovation im Versicherungswesen ermöglichen. Der jetzige Zeitpunkt erinnert stark an die Zeit um das Jahr 1995, als das Internet seinen Durchbruch erlebte. Wir wussten, dass etwas ganz Außerordentliches bevorstand, und konnten bereits die ersten Ideen erkennen, aber gleichzeitig hatten wir keine konkrete Vorstellung davon, wie sich das Internet genau entwickeln würde. Ähnlich schwierig ist es, vorherzusagen, wie die nächste Stufe der Innovation im Versicherungswesen genau aussehen wird. Die ersten Konturen sind bereits zu erkennen. Doch wie sich die Technologien weiterentwickeln, ist unklar. Wahrscheinlich werden wir zahlreiche neue Erkenntnisse gewinnen, die die Grundlage für vielfältigste neue Wertangebote und Geschäftsmodelle bilden werden.

Was wir jedoch sicher wissen, ist, dass wir uns in einem perfekten Sturm befinden: Das Verbraucherverhalten hat sich dauerhaft verändert. In den Vorstandssälen hat sich eine digitale Denkhaltung durchgesetzt. Insurtechs stehen vor einem neuen Kapitel. Mit den neuen Datenströmen und den richtigen Technologien ist der Weg für die nächste Stufe der Innovation im Versicherungswesen geebnet.

Es ist, wie George Clooney im Film  The Perfect Storm sagte:„Außerhalb der eingezeichneten Fanggründe, da sind die Fische.“

Es liegen spannende Zeiten vor uns! Freuen Sie sich darauf!

Gastbeitrag von Roger Peverelli, Gründer der Digital Insurance Agenda, und Walter Capellmann, Hauptbevollmächtigter der DELA Lebensversicherungen in Deutschland