Der große Crash und die Reaktionen

06.08.2024

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Anja Hochberg, Head Multi Assets Solutions, Swisscanto

Enttäuschende US-Wirtschaftsdaten und schwächere Gewinnausblicke bei den Tech-Giganten haben bereits vorige Woche die globalen Aktienmärkte fallen lassen. Zudem befürchten Markteilnehmer, die US-Notenbank könnte mit ihrer für September in Aussicht gestellten Zinssenkung zu spät kommen, um eine sanfte konjunkturelle Landung zu garantieren. Am Montag nahm dann die Nervosität nochmals deutlich zu, was am Volatilitätsindex (VIX) gut erkennbar war, der einen Wert von 42.5 aufwies. Diese Höhe wurde zuletzt während der Covid-Phase erreicht.

Absolut gesehen verzeichneten unsere Multi Asset-Portfolios in den vergangenen Tagen zwar Kursrückgänge, liegen jedoch seit Jahresbeginn immer noch bei mittleren einstelligen Erträgen. Relativ zur Anlagestrategie (Benchmark) sind die Portfolios gut aufgestellt. So haben wir die Aktienquote Ende Juli rechtzeitig reduziert und Gewinne mitgenommen. Positiv wirkt sich zudem unser starkes Übergewicht in globalen Staatsanleihen gegenüber Unternehmensanleihen sowie die leicht erhöhte Duration aus, welche durch den starken Zinsrückgang profitiert.

Bei Portfolios mit alternativen Anlagen sind wir in den Rohstoffen neutral positioniert, Gold haben wir übergewichtet. Seit der 20-prozentigen Hausse auf 2.400 USD pro Unze vom vergangenen März und April bewegt sich der Goldpreis seitwärts. Obwohl der Ausbruchsversuch bis auf 2.470 USD Mitte Juli vorerst gescheitert ist, rechnen wir mit einem nachhaltigen Trend nach oben. Innerhalb von Aktien bevorzugen wir die defensive Schweiz, günstige Schwellenländeraktien sowie den breiten US-Markt. Wir favorisieren darum US-Firmen im Schatten der ‚Big Tech-Titel‘. Denn diese weisen eine bessere Gewinndynamik aus und sind mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von 17 nicht so teuer wie die großen amerikanischen IT-Firmen (KGV 30). Um diese Positionierung zu erreichen, setzen wir anstelle der klassischen Gewichtung nach Kapitalisierung den gleichgewichteten US-Index ein.

Grundsätzlich erachten wir die Korrektur als gesund sowie bewertungskorrigierend und würden dies bei Beibehaltung des aktuellen Szenarios und nach dem Abklingen der aktuellen Nervosität eher als Kaufgelegenheit statt als Grund für Panik sehen. Negativ zu werten ist weiterhin, dass die Bewertungen an den globalen Aktienmärkten mit einem vorausschauenden KGV von 19 bei noch dazu sportlichen Gewinnerwartungen nahe an den Rekordwerten der Post-Corona Zeit notieren. Zudem ist die Positionierung der Investoren in Aktien trotz der Rücknahmen in den letzten Tagen immer noch hoch. In Umfragen dominierte bis vor kurzem das Lager der ‚Bullen’, mittlerweile sind sie ins Schwanken gekommen.

Generell ist die Rotation von IT in andere Sektoren eine nachvollziehbare Entwicklung. Andererseits findet gerade im Yen eine Rückführung des Risikos (Auflösung von Carry Trades) statt, welche schwer einzuschätzen ist. Da wir aber weder einen massiven Konjunktur- noch einen Gewinneinbruch in naher Zukunft erwarten, erachten wir unsere aktuelle leicht defensive und diversifizierte Positionierung als gute Ausgangslage, um Opportunitäten zu nutzen. Wir halten für den Moment an unserer ausgeglichenen Positionierung fest.

Carsten Mumm, Chefvolkswirt bei der Privatbank DONNER & REUSCHEL

Seit der Zinswende des Jahres 2022 richtete sich der Fokus an den Kapitalmärkten besonders auf die geldpolitischen Ausrichtungen der Notenbanken. Dabei stand in Europa und in den USA im laufenden Jahr die Frage im Raum, wann die Leitzinsen erstmals wieder sinken würden. In diesem Kontext wurden schwache Konjunktursignale überwiegend positiv betrachtet. Denn eine sich abkühlende Wachstumsdynamik würde den Inflationsdruck weiter schwächen und damit den notwendigen Spielraum für eine geldpolitische Lockerung bringen, so das Kalkül. In Europa ging diese Rechnung schon seit dem letzten Winterhalbjahr auf und entsprechend wurde die erste Zinssenkung durch die EZB im Juni 2024 beschlossen. 

Dagegen überraschte die US-Volkswirtschaft in den letzten Quartalen immer wieder positiv. Doch zuletzt mehrten sich auch in den USA die Anzeichen einer schwächeren wirtschaftlichen Entwicklung. Dazu zählten neben einer negativen Unternehmensstimmung im Bereich der Industrie insbesondere der schwächer als erwartet ausgefallene Juli-Arbeitsmarktbericht mit einem Anstieg der Arbeitslosenquote auf 4,3 Prozent. Parallel gaben die Inflationserwartungen nach, und schon im Juni sank die US-Inflation mit 3,0 Prozent auf den niedrigsten Stand seit Sommer 2023. Gemäß CME Fed Watch Tool erwarten die Märkte mittlerweile eine Senkung der Leitzinsen durch die Notenbank Fed um 100 Basispunkte auf 4,25 bis 4,50 Prozent bis zum Jahresende.

Anders als in den vergangenen Monaten sorgte diese Entwicklung jedoch für massive Verunsicherung an den Aktienmärkten. Ganz plötzlich wurde eine schwächere Konjunktur nicht positiv gesehen, man sorgte sich nun vor einer Rezession in den USA. Hinzu kamen Befürchtungen, die enormen Kursgewinne vieler Aktien im Zusammenhang mit erwartetem Gewinnwachstum durch Technologien auf Basis Künstlicher Intelligenz könnten überzogen sein. Zudem verunsicherte die Anhebung der Zinsen in Japan und sorgte für eine schnelle und deutliche Aufwertung des seit Monaten extrem schwachen Yen sowie die drohende Eskalation im Nahen Osten. 

Fazit: Obwohl sich die fundamentale Situation nicht grundlegend verändert hat, werden derzeit bekannte Fakten einfach anders bewertet. Die resultierende Verunsicherung dürfte vorerst anhalten, denn der deutliche Kursrücksetzer bei japanischen und US-Technologieaktien wirkt bei vielen Anlegern noch nach. Die Auflösung lange Zeit sehr lukrativer Carry-Trades, also der Verschuldung in Yen bei gleichzeitiger Kapitalanlage in anderen Währungen, könnte die Kursentwicklungen an den internationalen Börsen weiter belasten. Es ist jedoch davon auszugehen, dass sich die Aktienkurse mit der Aussicht auf sinkende US-Leitzinsen im Laufe des Herbstes wieder stabilisieren können.