Was man im Jahr 2035 aus dem E-Geld-Boom gelernt hat

12.07.2019

Thomas Wüst, Geschäftsführer valorvest Vermögensverwaltung / Foto: © valorvest

„Wie konnten die damals nur so blauäugig sein“, reibt sich Franzi verwundert die Augen, als sie 2035 im Fach Vermögensmanagement der 9. Klasse der Realschule die Phase des E-Geld-Booms durchnahmen, die bis 2028 nur knapp acht Jahre dauerte und wie so oft in einer globalen Finanzkrise endete. Die Lehrerin erwidert: „Ja, Franzi – aber es hatte ja auch ein Gutes. Nachdem die Männer es damals auf globaler Ebene so richtig verbockt hatten, durften endlich mehr Frauen ran, was ab 2030 weltweit zur Beendigung des Patriarchats geführt hat.“ Franzis Gesicht hellte sich auf. Doch was war passiert?

Ein Plattformkonzern mit einer global beherrschenden Marktstellung und knapp drei Milliarden Nutzern hatte 2020 eine neue Währungseinheit geschaffen, elektronisches Geld oder E-Geld genannt. Dieses E-Geld basierte einerseits auf einer neuen, schnelleren Blockchain-Variante und andererseits auf einem Währungskorb, der sich nach der Zusammensetzung der Sonderziehungsrechte des IWF ausgerichtet hatte. Gemeinsam mit 100 Partnern, im Nachhinein handelte es sich um Junior-Partner, wurde eine zunächst unabhängige Organisation geschaffen, über die die Infrastruktur zur Abwicklung der Transaktionen auf globaler Ebene errichtet wurde. Darüber hinaus zahlte jeder der Partner zehn Millionen US-Dollar in einen Reservefonds ein, der somit zum Start ein Volumen von eine Milliarde US- Dollar hatte.

Um der neuen Währungseinheit Stabilität zu suggerieren, wurde das Kapital verzinslich in Staatsanleihen entsprechend der Gewichtung im Währungskorb investiert. Die Politik wurde geködert, indem der Plattformkonzern betonte, dass die Einführung des E-Geldes Geldtransfers in Entwicklungsländer vereinfachen und rund 1,7 Milliarden Menschen ohne Konto Zugang zum bargeldlosen Zahlungsverkehr ermöglichen würden. Die Politik schnappte zu. Dies war die Ausgangslage.

Bonusprogramme befeuern erste Boomphase

Die erste Phase des Booms erfolgte gleich zum Start, was daran lag, dass der marktbeherrschende Plattformkonzern mit zahlreichen Händlern lukrative Bonusprogramme aushandelte. Im Austausch gegen vergünstigte Werbekampagnen auf der Plattform war dies für beide Seiten ein gutes Geschäft, gab es doch keine Kontrollen, wer welchen Preis für welche Werbung auf der Plattform zahlen musste – es herrschte ja Vertragsfreiheit. Die Einführung der neuen Währung war dadurch ein voller Erfolg: über eine benutzerfreundliche App installierten sich gleich zum Start 500 Millionen Nutzer eine elektronische Geldbörse auf dem Handy und tauschten alleine im ersten Jahr global im Schnitt umgerechnet 1.000 US-Dollar je Nutzer in die neue E-Geld-Währungseinheit um. Derjenige, der es nicht tat, musste es sich leisten können, da er von all den lukrativen Bonusprogrammen ausgeschlossen war. Der größte Renner waren dabei vergünstigte Urlaubsreisen, bei denen sämtliche Zahlungen weltweit in der neuen E-Geld-Währungseinheit erfolgten, was zu deren Akzeptanz in der Bevölkerung und im Handel beitrug. Einfach mit dem Handy.

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