"Volatilität ist unsere Chance"
22.04.2025

Dr. Tobias Spies. Foto: © LAIQON
Handelskonflikte, politische Rhetorik und Marktpanik: Die jüngsten Ausschläge an den Kapitalmärkten zeigen einmal mehr, wie fragil das Gleichgewicht in Zeiten geopolitischer Spannungen sein kann. Besonders betroffen ist der Anleihemarkt, wo Volatilität und Liquiditätsengpässe in kurzer Zeit neue Herausforderungen schaffen. Dr. Tobias Spies, Fondsmanager der LAIQON Rentenfondsfamilie und ausgewiesener Bond-Picker, spricht im Interview über die Dynamik der letzten Tage, die Rolle von Cash-Reserven und warum gerade jetzt selektives Handeln gefragt ist.
finanzwelt: Herr Dr. Spies, wie haben Sie die jüngsten Tage an den Märkten erlebt?
Dr. Tobias Spies: Die vergangenen Tage waren extrem herausfordernd und durchaus überraschend. Turbulenzen, wie wir sie aktuell sehen – etwa durch die massiven Zollankündigungen der US-Regierung – erwischen den Markt oft auf dem falschen Fuß. Besonders die Kommunikation in Richtung China hat Unsicherheit geschürt. Im Bondmarkt, wo wir direkt agieren, äußerte sich das in massiver Volatilität. Wir haben Abflüsse aus High-Yield-ETFs gesehen, wie wir sie selbst in der COVID-Zeit nicht kannten. Die Marktliquidität trocknete aus, die Geld-Brief-Spannen weiteten sich drastisch – von üblichen 0,5 auf bis zu drei, vier Punkte. Es war ein Umfeld, in dem kaum jemand kaufen wollte. Alle wollten nur verkaufen.
finanzwelt: In einem solchen Umfeld: Welche Chancen sehen Sie – und nach welchen Kriterien entscheiden Sie?
Spies: Zentral ist für uns der sogenannte „Cash-Effekt“: Als Publikumsfonds müssen wir jederzeit rückgabefähig bleiben. Deshalb halten wir stets eine gesunde Cashquote – aktuell sogar etwas höher als üblich. Gleichzeitig ergeben sich Chancen: Wir kennen unsere Unternehmen gut und haben in Phasen steigender Risikoaufschläge selektiv nachgekauft – auch in Sektoren, die von den Zöllen gar nicht betroffen sind. Unser Ziel ist es nicht, Risiken im Portfolio zu erhöhen, sondern Opportunitäten zu nutzen und gegebenenfalls umzuschichten. Neue Titel haben wir punktuell aufgenommen – immer unter Wahrung der nötigen Liquidität.
finanzwelt: Gab es in den vergangenen Wochen Entscheidungen, auf die Sie besonders stolz oder die Sie rückblickend kritisch sehen?
Spies: Beides, fast täglich. Bis Mitte März haben wir viele gute Entscheidungen getroffen: Teure Titel verkauft, Risiken reduziert. Allerdings hatten wir auch ein überschaubares Exposure im Bereich der Automobilzulieferer aufgebaut – eine Branche, die von den jüngsten Zöllen stark getroffen wurde. Diese Entwicklung war in ihrer Heftigkeit nicht absehbar und hat unsere Performance temporär belastet. Wir gehen aber davon aus, dass sich diese Positionen in den kommenden zwölf Monaten gut entwickeln werden. Rückblickend ist das ein typisches Beispiel dafür, wie aus heutigen Verlusten die Chancen von morgen entstehen.
finanzwelt: Inwiefern hilft Ihnen Ihre Erfahrung aus früheren Krisen in der aktuellen Situation?
Spies: Jede Korrektur hat ihre Eigenheiten – doch das Grundmuster ist ähnlich: schleichender Beginn, gefolgt von Frustration und Panik. Entscheidend ist, nüchtern zu bleiben, Investmentthesen zu überprüfen und bei attraktiven Einstiegsgelegenheiten zuzugreifen – ohne das Risiko unnötig zu erhöhen. Was allerdings neu ist: Die politische Dimension dieser Marktbewegungen. Wenn einzelne Aussagen eines Präsidenten Blue-Chip-Indizes um acht Prozent bewegen, sprechen wir über potenzielle Marktmanipulation. Verlässlichkeit wird zur Mangelware – dabei ist genau sie essenziell für rationale Anlageentscheidungen. Am Ende zählen die Fundamentaldaten: Das Geschäftsmodell, die Zahlen, die Fakten. (ah)

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