Was Neobanken besser machen als 90er-Jahre Online-Banken

23.04.2025

Karl im Brahm, CEO bei der deutschen Einheit von Objectway. Foto: © Objectway

Neobanken und Broker wachsen unaufhaltsam, während die erste Generation der Online-Banken oft mit stagnierenden Kundenzahlen kämpft. Dabei verfolgten beide Geschäftsmodelle denselben Ansatz: Vermögensverwaltung für breite Massen zugänglich zu machen – jederzeit und von überall. Doch Neobanken haben aus denselben Zutaten ein neues Rezept kreiert: Sie setzen für den Aufbau von Vertrauen nicht länger auf Marmorhallen, sondern auf transparente Angebote, begreifen Compliance als Wettbewerbsvorteil und testen neue Konzepte direkt an ihren Zielgruppen. Karl im Brahm, CEO für die DACH-Region bei Objectway, erklärt, was traditionelle Institute von diesem Wandel lernen können.

„Die heutigen Neobanken und Neobroker haben in wenigen Jahren etwas geschafft, woran viele Online-Banken der 90er Jahre gescheitert sind: Sie skalieren schneller, erreichen Anleger weltweit – und gewinnen das Vertrauen neuer Zielgruppen, die sich früher nie mit Finanzthemen beschäftigt hätten“, sagt Karl im Brahm auf der diesjährigen Fintech-Messe in Berlin. Dabei ist die Grundidee beider Finanzdienstleister-Generation durchaus ähnlich: „Sowohl die Digitalbank-Pioniere der 90er als auch die Disruptoren von heute wollten Finanzdienstleistungen demokratisieren – also zugänglicher, günstiger und bequemer machen. Doch der Erfolg fiel sehr unterschiedlich aus“, so im Brahm. Die Ausgangslage für die ersten Online-Banken war vielversprechend: „Sie hatten das Vertrauen breiter Kundenstämme, etablierte Marken und oft beeindruckende Räumlichkeiten auf ihrer Seite. Doch nur wenigen gelang es, diese Vorteile in langfristiges Wachstum umzuwandeln.“ Im Gegensatz dazu bauen die heutigen Neobanken in Rekordzeit Millionen-Kundennetze auf. „Diese Diskrepanz lässt sich auf vier wesentliche Säulen zurückführen: Die heutigen Player haben es geschafft, Technologie für eine breite Masse zugänglich zu machen und dennoch zu personalisieren – weit über eine einfache App hinaus. Sie sehen Compliance nicht als Hürde, sondern nutzen sie aktiv. Zudem haben sie nicht nur ihre Server für Wachstum vorbereitet – von Onboarding über Kundensupport bis zur Betrugserkennung ist alles skalierbar. Und sie haben Vertrauen ohne imposante Marmorhallen oder große Markennamen aufgebaut: durch transparente, verständliche Produkte und Services, die sie schrittweise ausgeweitet haben“, bringt im Brahm auf den Punkt.

Breite Kundenbasis – Vorteil oder Wachstumsbremse?

Viele Banken, die sich in den 1990er Jahren an digitale Dienstleistungen wagten, hatten eines gemeinsam: einen bestehenden breiten Kundenstamm. Anfangs schien dies ein strategischer Vorteil zu sein – doch für viele entpuppte es sich als Innovationsbremse. „Etablierte Banken mussten jeden Schritt sorgfältig abwägen: Wird das unser traditionelles Geschäft kannibalisieren? Wie werden unsere bestehenden Kunden reagieren? Passt das zu unserer Marke?", erklärt im Brahm. Diese Vorsicht hat oft dazu geführt, dass mutige, disruptive Schritte ausgebremst oder sogar ganz blockiert wurden. Neobanken hingegen starteten bei null. Sie haben sich um die Customer Journey und die gewünschten Ergebnisse herum organisiert. Ihr Ansatz konzentriert sich nicht auf Produkte, sondern darauf, die Bedürfnisse ihrer Kunden zu erfüllen – etwa Vermögen aufzubauen, Immobilien zu erwerben oder für den Ruhestand zu planen. „Die ersten tausend Kunden eines Neobrokers waren reiner Zugewinn. Sie konnten experimentieren, scheitern, sich verbessern – ohne ihren Ruf bei einer konservativen Kundengruppe zu riskieren. Das führte zu einer völlig anderen Innovationskultur", betont in Brahm. Viele der getroffenen Entscheidungen trugen auch dazu bei, Kosten zu senken und die Zugänglichkeit zu erhöhen: den Verzicht auf Filialnetze, die Automatisierung von Prozessen und die Einführung von Freemium-Modellen mit Premium-Funktionen – von ETF-Investments bis zu Krypto-Optionen.

Neu denken statt verbessern: Wieso Disruption eine Mentalitätsfrage ist

„Vergleicht man traditionelle Online-Banken mit Disruptoren, ist der Unterschied in der Denkweise frappierend. Etablierte Akteure folgen oft einer Mentalität des ‚Schützens und Erweiterns‘ – darauf fokussiert, Gewinnspannen, Legacy Modelle und Marktterritorien zu verteidigen. Innovation wird tendenziell schrittweise eingeführt: Wie können wir das, was wir bereits tun, noch etwas verbessern? Neobanken und Neobroker hingegen arbeiten nach dem Prinzip ‚Verändern und Weiterentwickeln‘.

Sie stellen die Grundlagen in Frage: Brauchen wir überhaupt menschliche Berater für die Vermögensallokation? Warum müssen die Mindestinvestitionen so hoch sein? Warum kann Finanzplanung nicht so intuitiv und anregend sein wie Spotify oder Instagram?, erklärt im Brahm. Sie haben auch ein anderes Kernprinzip der Branche neu definiert, wie der CEO betont: „Die traditionelle Vermögensverwaltung basierte auf der Prämisse der Exklusivität. Der persönliche, maßgeschneiderte Service war Teil des Wertversprechens. Die eigentliche Herausforderung bei der Demokratisierung des Wealth Managements besteht nun darin, das gleiche Maß an Personalisierung in großem Umfang zu bieten.“ Laut dem Experten sind die Plattformen, die in diesem Rennen die Nase vorn haben, nicht nur mobil, sondern auch daten- und API-gesteuert und nahtlos in das breitere Finanz-Ökosystem integriert. Sie passen sich schnell an die sich verändernden Nutzerbedürfnisse an und nutzen verhaltenswissenschaftliche Erkenntnisse, um Kunden durch komplexe Entscheidungen zu führen – klar, einfach und ohne sie zu überfordern.

Haben traditionelle Banken eine „Nein-Abteilung“? Compliance als Wachstumsmotor

Viele neue Banken nutzen diese Challenger-Mentalität, um die regulatorischen Anforderungen strategisch zu ihren Gunsten zu nutzen. „Während traditionelle Institute die Einhaltung von Vorschriften oft mit Vorsicht oder sogar Zurückhaltung behandeln, sehen Fintechs darin eine Chance“, erklärt im Brahm. Diese Behutsamkeit rührt nicht von Missachtung her, im Gegenteil: Traditionelle Banken nehmen Compliance sehr ernst und sind oft führend bei der Einhaltung strenger Vorschriften. Aber ihr Ansatz ist eher defensiv und von Risikoaversion geprägt. Neobanken und Neobroker gehen über die bloße Einhaltung der Vorschriften hinaus – sie betten sie in ihr Wertversprechen ein. „In großen Banken fungieren die Compliance-Abteilungen oft als Torwächter, deren Standardantwort lieber einmal mehr ‚Nein‘ lautet, um Risiken zu vermeiden. Bei Neobanken sieht das anders aus. Für sie ist Compliance oft eine Frage des Designs: Wie können wir die regulatorischen Anforderungen erfüllen und gleichzeitig ein reibungsloses Kundenerlebnis bieten?", führt der CEO beispielhaft an. Diese Unternehmen integrieren Prozesse wie Know-Your-Customer und Anti-Money-Laundering nahtlos in moderne Benutzeroberflächen und nutzen Tools wie Echtzeitwarnungen, um das Vertrauensverhältnis aktiv zu stärken. „Die neue Generation von Finanzdienstleistern versteht, dass Vertrauen nicht durch Tradition, sondern durch transparente, verständliche Schutzmaßnahmen entsteht“, sagt im Brahm.

Der Vertrauensfaktor – Wie Neobroker einen Nachteil zum eigenen Vorteil nutzen

Vertrauen ist die wichtigste Währung im Bankgeschäft – vor allem, wenn es um Milliarden von Kundengeldern und sensible Personendaten geht. Auf dem Papier waren die Banken der 90er dafür gut aufgestellt: mit Tradition, einen respektablen Ruf und breiten Filialnetzen. Doch gerade diese Stärken wurden in der Umstellung auf mobile Banking-Modelle zur Herausforderung. „Der Übergang von Marmorhallen zu Apps war schwierig – viele Kunden waren skeptisch und stark an die analoge Welt gebunden“, sagt im Brahm. Neobanken hingegen haben gelernt, Vertrauen digital aufzubauen – von der Verwendung einfacher Sprache bis hin zur vollständigen Transparenz darüber, wie sie Geld verdienen. „Sie setzen auf intuitive, lehrreiche Nutzererfahrungen und ersetzen damit die alte Abhängigkeit von Papierkram und Prestige“, erklärt im Brahm und betont: Die heutigen Neo-Akteure beginnen mit risikoarmen, leicht verständlichen Produkten und bauen Glaubwürdigkeit schrittweise auf.“ Bildung spielt dabei ebenfalls eine zentrale Rolle: Ihre Plattformen führen nicht nur aus – sie erklären und leiten an, was das Verständnis und die Loyalität der Anleger vertieft. Im Brahm fasst zusammen: „Das bedeutet nicht, dass die frühen Online-Banken dem Untergang geweiht sind oder ganz verschwinden werden. Aber sie haben bereits seit einiger Zeit zu kämpfen, und sie beginnen, den Mehrwert eines mutigeren Digitalisierungsansatzes zu erkennen – etwas, das ihre Wettbewerber bereits umsetzen. Tatsächlich arbeiten heute viele traditionelle Banken aktiv mit Fintechs zusammen, um moderne Finanzlösungen zu entwickeln, die sich in ihr bestehendes Angebot integrieren lassen. Es ist eine Win-Win-Win-Situation - nicht nur für beide Arten von Finanzdienstleistern, sondern auch für ihre Kunden." (fw)