Wahnsinn? / !

16.06.2020

Georg Seil, Geschäftsführer Georg Seil Consulting / Foto: © Fotostudio Kutscha

Das, was sich am Aktienmarkt in den letzten Wochen abgespielt hat, widersprach nicht nur total meinen Erwartungen, sondern ist nicht wirklich zu erklären. Der DAX , wie andere große Indices auch, befindet sich nur noch wenige Prozente vom All-Time-High entfernt. Kurse werden eigentlich immer danach beurteilt, ob diese berechtigt sind. Berechtigung wird häufig an dem Kurs-Gewinn-Verhältnis gemessen, welches im Durchschnitt bei 15 liegt und dort als angemessen bezeichnet wird. Natürlich liegen noch keine Zahlen vor, aber erste Schätzungen gehen von einem Gewinneinbruch in Höhe von ca. 40 % aus. Somit würde sich das KGV auf ungefähr 25 erhöhen, ein Niveau, welches noch nie länger Bestand hatte. Die in den letzten Jahren gefeierte Dividendenrendite, der angeblich neue Zins, hat einen erheblichen Dämpfer, nicht zuletzt von politischer Seite, erhalten. Die Wirtschaft im Allgemeinen wird in diesem Jahr deutlich schrumpfen – minus 6 bis 10 %- und sich zwar in 2021 erholen, aber das Gewinnniveau von 2019 frühestens 2022 wieder erreichen. Wahnsinn? Nein, Wahnsinn!

Diametral entgegengesetzt entwickelten sich Gold und Öl. Während der Goldpreis in Dollar um ca.5 % korrigierte, verlor dieser in Euro gerechnet wegen des schwachen USD fast 10%. In der „Erholungseuphorie“ war weniger Platz für vermeintlich sichere Investments. Sollte sich dies einmal wieder ändern, wird auch das Gold wieder profitieren. Der Ölpreis (Brent) pro Barrel kam von 70 USD, fiel auf unter 20 USD und hat sich nun wieder auf über 40 USD erholt. In dieser jetzt erreichten Zone 30 bis 50 USD ist schon sehr viel Konjunkturfantasie enthalten.

Sehr differenziert verläuft derzeit die Entwicklung bei Private Equity. Während es die sog. Primaries sehr schwer haben, Kapital zu allokieren, sind Secondaries weiterhin gefragt. Hier spielt eine Rolle, dass der sog. J-Curve-Effekt nicht greift und Secondary-Funds erfahrungsgemäß in einer solchen Phase viel Geld anlocken. Die Hoffnung, im Zweitmarkt nun günstiger an Unternehmensbeteiligungen zu gelangen, ist zwar logisch, aber nicht automatisch. PE-Firmen haben viel Kapital eingesammelt, welches auch investiert werden muss. Ob die Manager immer die ausreichende Geduld haben, entscheidet über den langfristigen Erfolg. Auch muss immer die Frage erlaubt sein, ob in den Boomjahren 2018/2019 nicht zu hohe Preise für die Unternehmensbeteiligungen gezahlt wurden, die nun langfristig belasten. Mir gefällt dabei nicht die zuletzt gezeigte Größenmanie der Fondsgesellschaften. Fonds mit Volumen im zweistelligen Milliardenbereich sind erfahrungsgemäß nämlich nicht so erfolg-reich wie kleinere Fonds. Das hatten wir schon einmal 2008. Wahnsinn!

Während in den ersten Wochen der Pandemie noch relative Ruhe am Immobilienmarkt herrschte, kam zuletzt doch einige Bewegung in die Branche. Während Wohnimmobilien zu fairen Preisen nach wie vor gesucht sind, werden die ersten Übertreibungen bei Spitzenimmobilien abgebaut. Multiples von 30 und mehr werden nicht mehr so locker bezahlt. Auch wird berichtet, dass der Verkauf von Neubauten nicht mehr so flüssig läuft. Auch in guten Lagen sind Quadratmeterpreise von mehr als 10000 € keine Eigenläufer, während die Segmente von 5000 bis 8000 € noch eine gute Nachfrage finden. Anders sieht es bei Büroimmobilien aus, bei denen auch langfristige Perspektiven (Home Office) zunehmend eine negative Rolle spielen. Es muss davon ausgegangen werden, dass nicht nur Büros sondern auch Ladenflächen zunehmend leiden werden. Gerade im Einzelhandel stehen wir vor einer Pleitewelle, aber auch vor strukturellen Umbrüchen. Spezialimmobilien, wie Studentenwohnungen, zeigen urplötzlich Risiken auf, die man nicht mit eingeplant hatte. Andererseits sind Logistikimmobilien gefragt, da es sehr wahrscheinlich zu einem Umdenken zum Thema Globalisierung sowie dem „just in time Trend“ kommen wird. Unternehmen werden einige negative Erfahrungen von Lieferketten analysieren und Entscheidungen treffen, um künftig unabhängiger zu werden. Auch der Staat wird seine bisherige Politik überdenken und für bestimmte Warengruppen künftig Lagerhaltung im Inland anordnen. Aber auch bei Wohnimmobilien sollten die politischen, eher negativen Strömungen, nicht unterschätzt werden. Mietpreisbremsen, Maklerhonorarregulierungen sowie administrative Eingriffe, „neue“ Steuern usw. stellen auch eine Gefahr für Wohnimmobilien dar. Trotz allem teile ich keineswegs die Auffassung des Vorstandsvorsitzenden einer großen Hypothekenbank, der in der letzten Woche anlässlich der HV seiner AG, die Aussage getätigt hat, dass wir uns weltweit in einer Immobilienkrise befinden. Er hat dies noch nicht einmal begründet, aber einfach mal so gesagt. Wahnsinn?!

Marktkommentar von Georg Seil, Geschäftsführer Georg Seil Consulting