Übertrieben optimistisch
30.06.2021
(v. l. n. r.) Ufuk Boydak, Vorstandsvorsitzender Fondsmanagement LOYS Ag | Carsten Roemheld, Kapitalmarktstratege Fidelity International | Peer Reichelt, Vorstand Netfonds AG
finanzwelt: Viel wird über Megatrends thematisiert. Welche Investmentlösungen sind derzeit sehr nachgefragt? Reichelt» Da ist an allererster Stelle das Thema ESG zu nennen, das seit Jahresbeginn noch einmal merklich Fahrt aufgenommen hat. Immer mehr Anleger verlangen von sich aus nach Produkten, die neben der finanziellen Rendite auch einen Mehrwert in ökologischer oder sozialer Form erwirtschaften. Außerdem gefragt sind selbstverständlich attraktive Geldparkplätze, die im Niedrigzinsumfeld Renditen über Geldmarkt bei hoher Sicherheit und Stabilität bieten wie der Rücklagenfonds von BPM. Roemheld» Wir sehen ein deutliches Interesse an Lösungen, die asiatische Anlagen betreffen. Im Unterschied zu vorherigen Krisen haben einige Schwellenländer die Pandemie schneller und effektiver bekämpft als die USA und Europa, obwohl dort insgesamt weniger fiskalpolitische Unterstützung erfolgt als in den USA oder Europa. Thematisch geprägte Investments, sei es im Bereich Technologie, Innovation, Klimawandel oder Nachhaltigkeit, spielen weiterhin eine große Rolle für unsere Kunden. Im Anleihebereich sucht man nach Ersatz für Staatsanleihen der entwickelten Regionen, um sowohl Stabilität im Portfolio zu erhalten als auch die erwartete Rendite nach oben zu bringen. Ein Ersatz für Cash ist nach wie vor ebenfalls von großem Interesse. Weiterhin werden immer stärker Anlagen mit nachhaltigem Investmentansatz nachgefragt. Hier spielen die regulatorischen Vorgaben eine wesentliche Rolle. Boydak» Aus meiner Beobachtung heraus würde ich sagen, es gibt geradezu eine obsessive Fokussierung; soll heißen, es werden immer stärker spezialisierte Fonds nachgefragt. Der Schwerpunkt liegt dabei auf den ‚Most recent Winners‘, also Aktien aus Technologienischen. Das widerspricht völlig dem eigentlichen Fondsgedanken der Diversifikation. Anleger richten ihren Tunnelblick hier nur auf die mögliche Rendite. Ich gebe zu bedenken, dass eine Trendumkehr erfahrungsgemäß unter hoher Volatilität stattfindet. Es macht für den langfristigen Vermögensaufbau mehr Sinn, auf Streuung und stetige Wertsteigerung zu setzen.
finanzwelt: Bei diesen Kursständen fragen sich Anleger natürlich auch, ob aktives Management zwecks Renditeerzielung erfolgversprechender ist. Zu Recht? Boydak» Es könnte sogar sein, dass gerade 2021 aktives Management entscheidend wird. In den großen Leitindizes beobachten wir eine Gewichtskonzentration auf immer weniger Titel. Wer sich hauptsächlich an der Zusammensetzung führender Börsenindizes orientiert, verzichtet also zunehmend auf Diversifikation. Hinzu kommt, dass die Bewertung dieser Indexschwergewichte bereits auf Rekordständen ist. Das macht es unwahrscheinlicher, hier noch überdurchschnittliche Renditen zu erzielen. Deshalb bin ich überzeugt, dass wir in diesem Jahr mit aktivem Stockpicking erfolgreicher sein werden. Roemheld» Die Pandemie hat zu einem noch nie dagewesenen Aufgebot an geld- und fiskalpolitischen Maßnahmen geführt, die den Abwärtssog an den Kapitalmärkten in Rekordgeschwindigkeit durchbrochen haben. Die Liquiditätsflut hat dann alle Anlageklassen beflügelt. In der ersten Phase haben besonders die Sektoren profitiert, die dem Motto ‚Stay-at-Home‘ am besten entsprochen haben; seit der Ankündigung der Impfstoffe im November sind es eher die ‚Wiedereröffnungs-Aktien‘. Nach meinem Dafürhalten werden sich im Laufe der nächsten Monate die besten Renditen eher mit einer gezielten Einzelwertauswahl erzielen lassen als mit einem reinen Index-Engagement. Von mir also ein klares Votum für eine aktive Anlagestrategie. (ah)