Übertrieben optimistisch

30.06.2021

(v. l. n. r.) Ufuk Boydak, Vorstandsvorsitzender Fondsmanagement LOYS Ag | Carsten Roemheld, Kapitalmarktstratege Fidelity International | Peer Reichelt, Vorstand Netfonds AG

finanzwelt: Herr Roemheld, mit Blick auf das weltweite Geschehen – sehen Sie ein asiatisches Jahrzehnt im Kommen mit China als zentralem Player? Roemheld» Wenn man die globale Wachstumsdynamik und die demografischen Trends genauer analysiert, kommt man zu der Schlussfolgerung, dass die kommende Dekade wesentlich von der Entwicklung in Asien geprägt sein wird. Über einen hohen Anteil am weltweiten Konsum und einer immer größer werdenden, sehr vermögenden Mittelschicht verlagern sich die Gewichte langsam vom Westen in den Osten. China ist dabei der bestimmende Faktor und sorgt über regionale Handelsbeziehungen für eine immer stärker werdenden Unabhängigkeit Asiens gegenüber dem Westen. In vielen Indizes ist diese Entwicklung noch nicht reflektiert, daher plädiere ich stark für einen höheren Portfolioanteil asiatischer Papiere.

finanzwelt: Lange Zeit machten ausschließlich Wachstumsaktien (Growth) die Pace; Value stand im Abseits. Nun ist Value wieder verstärkt in den Fokus der Anleger gerückt. Bleibt es ein tragendes Thema? Boydak» Wir erleben ja derzeit eine Art Neu-Definition von Value-Aktien, die im Grunde den Gedanken von Werthaltigkeit verwässert. Viele Titel erfüllen derzeit noch die breiten oder unspezifizierten Value-Kriterien von niedrigen Multiplikatoren. 2021 ist wie gesagt ein Turnaround-Jahr, dass zunächst viele zurückgebliebene Aktien an der Börse begünstigt. Aber damit stellen sich auch sogenannte Value-Fallen bei Unternehmen, deren Geschäftsmodelle strukturell nicht tragen können. Daher wird im laufenden Aufschwung das Stockpicking zunehmend wichtiger. Aber grundsätzlich sehe ich nach sehr schwierigen Jahren eine Normalisierung, die dem wertorientierten Investieren zu einer Renaissance verhilft. Roemheld» Betrachtet man die ganz langfristigen Zyklen an den Aktienmärkten, stellt man fest, dass über weite Strecken der ‚Value‘-Faktor dominiert hat. Das war insbesondere in Phasen der Fall, die von steigenden Zinsen begleitet waren. In diesem aktuellen Zyklus jedenfalls hat ‚Value‘ sehr unterdurch-schnittlich performt. Selbst in der jüngsten Erholungsphase haben zyklische Titel das Geschehen klar dominiert und sowohl ‚Growth‘ als auch ‚Value‘ in den Schatten gestellt. Die klassischen Substanzwerte haben hier erhebliches Nachholpotenzial, das sich insbesondere bei steigenden Zinsen manifestieren wird, daher bleibt Value durchaus ein Thema, das mehr Fahrt aufnehmen könnte.

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