Barrierefreiheitsstärkungsgesetz – eine Stärkung der „digitalen Barrierefreiheit“

08.04.2025

Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke. Foto: Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte

Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) wurde am 15.06.2022 verabschiedet, um einheitliche und klare Standards bezüglich der Barrierefreiheit von Produkten und Dienstleistungen in der privaten Wirtschaft festzulegen. Primär geht es dabei um die Stärkung der digitalen Barrierefreiheit. Zweck dieses Gesetzes ist es, im Interesse der Verbraucher und Nutzer die Barrierefreiheit von Produkten und Dienstleistungen zu gewährleisten. Dadurch wird für Menschen mit Behinderungen ihr Recht auf Teilhabe am Leben in der Gesellschaft gestärkt und der Harmonisierung des Binnenmarktes Rechnung getragen.

Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz bezieht sich auf Produkte und Dienstleistungen, die ab dem 28.06.2025 in den Verkehr gebracht oder erbracht werden. Mit dem Gesetz wurde eine europäische Verordnung in nationales Recht umgesetzt. Die bisherigen Anforderungen an die Barrierefreiheit sollen dadurch konkreter und unmissverständlicher gestaltet werden. Bei dem Barrierefreiheitsstärkungsgesetz geht es vor allem um die Stärkung der digitalen Barrierefreiheit, damit die Nutzung aber auch die Informationsbeschaffung für Menschen mit Behinderungen problemlos möglich ist. „Menschen mit Behinderung“ sind nach § 2 Nr. 1 BFSG) Menschen, die langfristige körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, welche sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft hindern können; als langfristig gilt ein Zeitraum, der mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate andauert.

Wer und was ist von dem Barrierefreiheitsstärkungsgesetz betroffen?

Grundsätzlich müssen sich Hersteller, Händler und Anbieter, die Produkte oder Dienstleistungen anbieten, die unter das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz fallen, an die Anforderungen des Barrierefreiheitsstärkungsgesetz halten.

Hinsichtlich der Produkte, die nach dem 28. Juni 2025 in den Verkehr gebracht werden, werden in § 2 Abs. 2 BFSG folgende konkret aufgeführt: Hardwaresysteme für Universalrechner für Verbraucher einschließlich der für diese Hardwaresysteme bestimmte Betriebssysteme; Selbstbedienungsterminals (Zahlungsterminals; Geldautomaten; Fahrausweisautomaten; Check-In-Automaten, interaktive Selbstbedienungsterminals zur Bereitstellung von Informationen, mit Ausnahme von Terminals, die als integrierte Bestandteile von Fahrzeugen, Luftfahrzeugen, Schiffen oder Schienenfahrzeugen eingebaut sind); Verbraucherendgeräte mit interaktivem Leistungsumfang, die für Telekommunikationsdienste verwendet werden; Verbraucherendgeräte mit interaktivem Leistungsumfang, die für den Zugang zu audiovisuellen Mediendiensten verwendet werden, und E-Book-Lesegeräte.

Hinsichtlich der Dienstleistungen, die für Verbraucher nach dem 28. Juni 2025 erbracht werden, werden in § 2 Abs. 3 BFSG folgende konkret aufgeführt: Telekommunikationsdienste mit Ausnahme von Übertragungsdiensten zur Bereitstellung von Diensten der Maschine-Maschine-Kommunikation; folgende Elemente von Personenbeförderungsdiensten im Luft-, Bus-, Schienen- und Schiffsverkehr mit Ausnahme von Stadt-, Vorort- und Regionalverkehrsdiensten: Webseiten; auf Mobilgeräten angebotene Dienstleistungen, einschließlich mobiler Anwendungen; elektronische Tickets und elektronische Ticketdienste; die Bereitstellung von Informationen in Bezug auf den Verkehrsdienst, einschließlich Reiseinformationen in Echtzeit, bei Informationsbildschirmen allerdings nur dann, wenn es sich um interaktive Bildschirme im Hoheitsgebiet der Europäischen Union handelt, und interaktive Selbstbedienungsterminals im Hoheitsgebiet der Europäischen Union, mit Ausnahme der Terminals, die als integrierte Bestandteile von Fahrzeugen, Luftfahrzeugen, Schiffen und Schienenfahrzeugen eingebaut sind und für die Erbringung von solchen Personenbeförderungsdiensten verwendet werden; Bankdienstleistungen für Verbraucher; E-Books und hierfür bestimmte Software und Dienstleistungen im elektronischen Geschäftsverkehr.

Ausnahmen des Barrierefreiheitsstärkungsgesetz

Es gibt jedoch auch Ausnahmen des Barrierefreiheitsstärkungsgesetz. Dieses Gesetz gilt nicht für den folgenden Inhalt von Webseiten und mobilen Anwendungen: aufgezeichnete zeitbasierte Medien, die vor dem 28. Juni 2025 veröffentlicht wurden; Dateiformate von Büro-Anwendungen, die vor dem 28. Juni 2025 veröffentlicht wurden; Online-Karten und Kartendienste, sofern bei Karten für Navigationszwecke wesentliche Informationen barrierefrei zugänglich in digitaler Form bereitgestellt werden; Inhalte von Dritten, die von dem betreffenden Wirtschaftsakteur weder finanziert noch entwickelt werden noch dessen Kontrolle unterliegen; Inhalte von Webseiten und mobilen Anwendungen, die als Archive gelten, da ihre Inhalte nach dem 28. Juni 2025 weder aktualisiert noch überarbeitet werden.

Als dann sind vom Gesetz Kleinstunternehmen ausgenommen, die Dienstleistungen erbringen. Unter Kleinstunternehmen fallen Unternehmen, die weniger als 10 Beschäftigte haben und der Jahresumsatz 2 Millionen nicht übersteigt. Kleinstunternehmen, die jedoch Produkte herstellen oder anbieten, die wiederum im BFSG aufgelistet werden, sind trotzdem zur Gewährleistung und Stärkung der digitalen Barrierefreiheit verpflichtet.

Umsetzung der Barrierefreiheit

Die Produkte und Dienstleistungen erfüllen die Anforderungen des Barrierefreiheitsstärkungsgesetzes, wenn sie für Verbraucher mit Behinderungen ohne Schwierigkeiten und ohne fremde Hilfe auffindbar, zugänglich und nutzbar sind. Dies soll hauptsächlich dadurch gewährt werden, dass die Wahrnehmung der Informationen über mindestens zwei Sinne möglich ist. Schriftliche Informationen sollen zusätzlich angehört werden können, wobei auch die Lautstärke und die Akustik anpassbar sein müssen. Außerdem soll für Personen mit eingeschränkter Sehkraft die Größe der Schrift, der Kontrast und die Helligkeit individuell vom Verbraucher selbst verändert werden können. Zusätzlich müssen alternative Farben verfügbar sein.

Kennzeichnungspflichten

Um die Barrierefreiheit zu gewährleisten, müssen zusätzlich erweiterte Kennzeichnungspflichten beachtet werden. An Produkte muss eine Produkt-, Typen- oder Seriennummer, Name, Anschrift und CE-Kennzeichnung angebracht werden. Weiterhin muss dem Produkt eine verständliche Gebrauchsanleitung und Sicherheitsinformationen beigefügt werden.

Dienstleistungserbringer müssen innerhalb ihrer AGB erklären, wie genau die Barrierefreiheit erfüllt wird. Dabei muss konkret erklärt werden, wie die Dienstleistung an sich die Barrierefreiheit erfüllt, die Beschreibung der Dienstleistung muss barrierefrei dargestellt werden und die Beschreibung der Funktionsweise der Dienstleistung muss barrierefrei erfolgen.

Nachweis und Verstoß der Barrierefreiheit

Hersteller, Händler und Anbieter dürfen Produkte und Dienstleistungen nur anbieten, wenn sie den Anforderungen des Barrierefreiheitsstärkungsgesetz entsprechen. Um dies sicherzustellen wird ein Konformitätsbewertungsverfahren durchgeführt und eine Konformitätserklärung abgegeben. Werden bereits bestimmte technische Normen oder Standards, die die Barrierefreiheitsanforderungen einhalten, erfüllt, gilt eine Konformitätsvermutung für derartige Produkte und Dienstleistungen.

Verstößt ein Produkt oder eine Dienstleistung gegen die Anforderungen des Barrierefreiheitsstärkungsgesetz, kann das Produkt oder die Dienstleistung eingeschränkt, zurückgerufen oder verboten werden. Darüber hinaus kann es zu Bußgeldern in Höhen bis zu 100.000€ kommen.

Fristen des Barrierefreiheitsstärkungsgesetz

Grundsätzlich sind alle Produkte und Dienstleistungen ab dem 28.06.2025 barrierefrei zu gestalten. Für bestimmte Dienstleistungen jedoch gilt eine Übergangsfrist von fünf Jahren. Für Selbstbedienungsterminals gilt eine Übergangsfrist von 15 Jahren.

Umsetzung des Barrierefreiheitsstärkungsgesetz als Versicherungsmakler

Besonders für Versicherungsmakler stellt sich die Frage, ob sie an die Anforderungen des Barrierefreiheitsstärkungsgesetz gebunden sind. Viele Versicherungsmakler dürften in die Kategorie der Kleinstunternehmen (siehe oben) und damit unter die Ausnahmeregelung(en) fallen. Bieten die Versicherungsmakler lediglich Dienstleistungen an und keine Produkte, die unter das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz fallen, was der Regelfall sein dürfte, so sind sie wahrscheinlich überhaupt nicht verpflichtet, sich an die Anforderungen des Barrierefreiheitsstärkungsgesetz zu halten.

Heutzutage nutzen Versicherungsmakler immer häufiger digitale „Werkzeuge“, wie Online-Terminkalender oder auch Online-Versicherungsrechner. Diese digitalen Mittel dienen jedoch im Kern dem Dienstleistungsangebot des Maklers, selbst dann, wenn die Dienstleistung nicht unmittelbar selbst durchgeführt wird. Weiterhin müsste das Produkt, wenn der Versicherungsmakler ein solches anbieten würde, die Voraussetzungen des Barrierefreiheitsstärkungsgesetz erfüllen. Versicherungen fallen jedoch unter keine der Kategorien der Produkte im Sinne des Barrierefreiheitsstärkungsgesetz.

Fällt der Versicherungsmakler jedoch nicht unter die Kategorie der Kleinstunternehmen (siehe oben), so muss er sich an die Anforderungen des Barrierefreiheitsstärkungsgesetz halten, da dafür bereits die Erbringung von Dienstleistungen im elektronischen Geschäftsverkehr die Verpflichtung der Stärkung der digitalen Barrierefreiheit begründet.

Fazit und Hinweise für die Praxis

Wichtig zu beachten ist, dass die Ausnahme laut dem Gesetz nur für Kleinstunternehmen gilt, die lediglich Dienstleistungen anbieten. Liegen diese Voraussetzungen nicht vor, muss das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz zwingend durchgesetzt werden.

Zum aktuellen Zeitpunkt gibt es hierzu noch keine entsprechende Rechtsprechung oder juristischen Auseinandersetzungen bezüglich des Barrierefreiheitsstärkungsgesetzes. Die aktuellen Entwicklungen bezüglich der genauen Anwendungsbereiche und Ausnahmen sollten daher genauestens verfolgt werden, um stets auf dem aktuellen Stand zu sein und keinen Verstoß gegen das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz zu riskieren.

Ein Gastbeitrag von Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke, Partner der Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte und seit 2017 Fachanwalt für Versicherungsrecht.