Übertrieben optimistisch

30.06.2021

(v. l. n. r.) Ufuk Boydak, Vorstandsvorsitzender Fondsmanagement LOYS Ag | Carsten Roemheld, Kapitalmarktstratege Fidelity International | Peer Reichelt, Vorstand Netfonds AG

Erinnern wir uns. Vor einem Jahr wurde der Corona-Crash im rasanten Tempo ausgebügelt. Entsprechend hoch stehen die Bewertungen an den Aktienmärkten. Der deutsche Aktienindex hat seit Jahresbeginn deutlich zugelegt, notiert um die 15.500 Punkte. Gleichzeitig mangelt es offensichtlich weiter an Alternativen. Das spräche für weiter steigende Kurse. Doch wie groß ist die Euphorie für das 2. Halbjahr? Welche regionalen und sektoralen Schwerpunkte sollten Ihre Kunden im Blick haben? Damit befasste sich eine finanzwelt-Expertenrunde Anfang Mai 2021.

finanzwelt: Meine Herren, welche Erwartungen hegen Sie für die Entwicklung der internationalen Aktienmärkte in den kommenden Monaten? Carsten Roemheld» Nach einer sehr positiven Phase für die Aktienmärkte wird die Luft inzwischen merklich dünner. Das wird auch daran deutlich, dass Aktien, die die Gewinnprognosen deutlich übertreffen, nicht mehr mit Kursgewinnen belohnt werden, wie jüngst in den USA zu beobachten war. Auch in Europa findet das in kleinerem Umfang statt. Viele Sentiment-Indikatoren sind an oder nahe euphorischen Levels. Das erschwert weitere deutliche Kursanstiege. Peer Reichelt» Ich bin ausgesprochen optimistisch, was die 2. Jahreshälfte angeht. Es ist davon auszugehen, dass COVID-19 ab dem Sommer mehr und mehr in den Hintergrund treten wird, begleitet von einem kräftigen Konjunkturaufschwung. Zusätzlich für eine positive Entwicklung an den Märkten vor allem hierzulande spricht, dass die Deutschen im vergangenen Jahr nun tatsächlich endlich die Aktie für sich entdeckt zu haben scheinen und viele neue, auch junge Trader unterwegs sind. Und etwa die Zykliker, für die Europa eher steht, 2021 doch schon recht gut aus der Hüfte gekommen sind. Und selbst in Bereichen wie den US-Technologiewerten, von denen es heißt, sie seien zu hoch bewertet oder bereits heiß gelaufen, gilt: Das sind Plattformen mit ungeheurem Wachstumspotenzial. Natürlich gilt das nicht für alle Assetklassen.

finanzwelt: Herr Boydak, Volatilität war in der Vergangenheit nicht so ein großes Thema. Werden wir im laufenden Jahr und angesichts der Kursstände wieder Phasen erhöhter Volatilität erleben? Ufuk Boydak» Ja, das wird mit Sicherheit so sein. Die Normalisierung ist paradoxerweise gefährlich. Die starke geldpolitische Unterstützung schlägt jetzt voll auf Konjunktur- und Unternehmensdaten durch. Das ist einerseits gut, weil wir damit wieder Wachstumsperspektiven schaffen. Andererseits lassen sich die jetzt außergewöhnlich hohen prozentualen Zuwächse nächstes Jahr kaum wiederholen. Insofern verfolge ich die laufende Erholung mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Der Aktienmarkt hat sich an die hohe Liquiditätsversorgung der Notenbanken gewöhnt. Wenn sich diese Situation mal ändert, dann wird es sicher wieder volatiler. Reichelt» Dem stimme ich grundsätzlich zu. Aber egal ob fortgesetztes Niedrigzinsregime, Rückschläge im Kampf gegen COVID-19 oder geopolitische Risiken: Diese Szenarien können die Märkte vielleicht kurzfristig verschrecken und in Korrekturen zwingen, insgesamt dürfte der Trend aber intakt bleiben. Zunehmend positive Nachrichten über Erfolge im Kampf gegen COVID-19 im Jahresverlauf könnten da sogar stützend wirken. Die größte Gefahr für Schockwellen an den Märkten geht für mich eher von geopolitischen Risiken aus, wie eine erneute Eskalation in der Ukraine oder zwischen China und Taiwan mit den USA als Schutzmacht. Immerhin ist mit Joe Biden dort nun wieder jemand im Weißen Haus, der professionelle Außenpolitik betreibt.

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