Kommt die Zwei-Klassen-Gesellschaft?
25.07.2013
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Die Aufregung ist groß, seit die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht Mitte Juni das Auslegungsschreiben zum Anwendungsbereich des Kapitalanlagegesetzbuches (KAGB) veröffentlicht hat. Nach Einschätzung von Branchenexperten sind deutlich mehr Fonds von der Regulierung ausgenommen als erwartet.
Die Diskussionen betrifft in erster Linie den Begriff „Investmentvermögen". Als Tatbestandsmerkmal setzt § 1 Abs. 1 Satz 1 KAGB unter anderem voraus, dass es sich bei dem Organismus nicht um ein „operativ tätiges Unternehmen außerhalb des Finanzsektors" handeln darf. Andernfalls kommt das Gesetz nicht zur Anwendung.
Exemplarisch nennt die BaFin im Auslegungsschreiben folgende Beispiele:
„Fraglich ist, ob ein Unternehmen, das ein Schiff verchartert, d. h. zur Nutzung überlässt, operativ tätig ist. Bei einem Time-Charter – einem der gängigen Schiffschartermodelle – überlässt der Vercharterer dem Charterer ein voll ausgerüstetes, bemanntes und einsatzfähiges Schiff zur vertraglich vorgesehenen kommerziellen Nutzung auf Zeit. Die technisch-nautische Betriebsführungspflicht liegt grundsätzlich beim Vercharterer, der in nautischen Angelegenheiten gegenüber dem Kapitänweisungsbefugt ist, die Pflege und Instandhaltung des Schiffes zu überwachen und für die Seetüchtigkeit des Schiffes und einen funktionierenden Schiffsbetrieb zu sorgen hat. Da bei einem Time-Charter-Vertrag die technisch-nautische Betriebsführung beim Vercharterer liegt, ist dieser als operativ tätig anzusehen."
„Bürgerenergieprojekte oder sonstige Unternehmen, die Anlagen (z. B. Biogas-, Solar- oder Windkraftanlagen) im Rahmen eines laufenden Geschäftsbetriebs selbst betreiben, sind als operativ tätige Unternehmen anzusehen. Dies gilt auch dann, wenn sich diese Bürgerenergieprojekte oder Unternehmen im Rahmen ihrer operativen Tätigkeiten fremder Dienstleister oder gruppeninterner Gesellschaften bedienen, solange die unternehmerischen Entscheidungen im laufenden Geschäftsbetrieb bei dem Unternehmen selbst verbleiben."
** Dies klingt nach praktikablen Möglichkeiten, das KAGB zu umgehen und außerhalb des Gesetzes unregulierte Schiffs-, Solar- und Windfonds aufzulegen. Ist diese Einschätzung korrekt? Und falls ja, ließe sich dies auf weitere Assetklassen ausweiten? finanzwelt bat Fachanwälte und den BSI Bundesverband Sachwerte und Investmentvermögen (vormals VGF Verband Geschlossene Fonds) um eine Stellungnahme.**
**Daniel Blazek,
**Kanzlei BEMT Rechtsanwälte
„Die BaFin legt das Merkmal ‚kein operativ tätiges Unternehmen außerhalb des Finanzsektors' im Kern richtig aus. Allerdings wird dies noch durch eine Vielzahl von Einzelbeispielen konkretisiert werden müssen. Die meisten geschlossenen Fonds dürften unabhängig von der Assetklasse unter das KAGB fallen, weil ihre Tätigkeit im Investieren zugunsten des Gesellschaftsvermögens besteht. Es wird aber durchaus geschlossene Fonds geben, die nicht unter das KAGB fallen, sondern vom weiterhin geltenden Vermögensanlagengesetz (VermAnlG) erfasst werden. Zum Beispiel muss es einem überwiegend operativ tätigen Handelsunternehmen auch in Zukunft möglich sein, stille Beteiligungen zu emittieren, was das HGB ausdrücklich vorsieht. Dies ist nach wie vor auch als Publikumsbeteiligung denkbar und dann nach dem VermAnlG wie gewohnt prospektierungspflichtig. Mit dem KAGB hat sich der Staat vor allem ein paar kontrollierbare Randbereiche im Feld der geschlossenen Fonds erobert, z. B. die Aufsicht über das Management, gewisse Investitionskriterien und einige Belange des Vertriebs. Insgesamt jedoch stellen das KAGB und das VermAnlG keine direkte staatliche Aufsicht über die konkrete Investitionstätigkeit oder die jeweiligen Anlagebedingungen dar. Das würde ich im Extremfall auch für verfassungswidrig halten."
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Nikolaus Herzog von Oldenburg,
**Kanzlei OMG Rechtsanwälte
„Der Unterschied zwischen ‚Investmentvermögen' und ‚operativ tätigen Unternehmen' liegt im laufenden Geschäftsbetrieb von letzterem, der durch Entscheidungen, die nicht vorweggenommen werden können, gekennzeichnet ist. Windkraft- und Solaranlagen dürften kaum einen derartigen Geschäftsbetrieb fordern, da wetterbedingt laufend Energie produziert wird und es allein bedarf, die Anlage instand zu halten. Es scheint auch keine Gestaltung möglich, dem Anwendungsbereich des KAGB über die von der BaFin vorgesehene Ausnahme eines Bürgerenergieparks zu entgehen. Die Einrichtung eines Geschäftsbetriebes, in dem laufend Entscheidungen getroffen werden, ist auch bei der Verwaltung von Immobilien denkbar. In diesem Fall müssten über die Vermietung hinaus Leistungen erbracht werden, die den gesamten Geschäftsbetrieb kennzeichnen. Das wäre beispielsweise dann der Fall, wenn die Immobilie als ‚Boarding House' betrieben wird (ein Boarding House verfügt über einzelne Appartements und bietet hotelähnliche Leistungen). Denkbar ist dieses auch im Falle der Verwaltung von Einkaufszentren, wenn verkaufsfördernde Maßnahmen organisiert und durchgeführt werden. Wird dagegen nur ein Hausmeisterservice für Wohneinheiten vorgesehen, dürfte das nicht ausreichen. Eine operative Tätigkeit wäre aber vorhanden, wenn Immobilien entwickelt werden, um diese nach Fertigstellung zu verkaufen."
Eric Romba,
Hauptgeschäftsführer BSI Bundesverband Sachwerte und Investmentvermögen e. V.
„Vom Wortlaut des Anwendungsschreibens könnte man den Eindruck gewinnen, dass bestimmte Fondsstrukturen aus dem Anwendungsbereich des KAGB fallen. Dem ist nicht so. Denn das Auslegungsschreiben ist als bloße Verwaltungsanweisung und Interpretationshilfe nicht allein ausschlagegebend. Nach dem – auch von der BaFin im Auslegungsschreiben zitierten – ESMA Report ‚Guidelines on key concepts of the AIFMD' vom 24.05. wird an verschiedenen Stellen klargestellt, dass die Einstufung als ‚Investmentvermögen' in Zweifels- und Grenzfällen auf Grundlage einer wertenden Gesamtbetrachtung vorzunehmen ist und dass das Nichtvorliegenden einzelner Tatbestandsmerkmale (z. B. ‚kein operativ tätiges Unternehmen außerhalb des Finanzsektors') dann nicht allein ausschlaggebend ist. Wir erwarten, dass sich die BaFin hieran entsprechend orientieren wird. Hinzu kommt der klare politische Wille, keine Lücken für geschlossene Fondsmodelle zu schaffen. Wir stehen im Austausch mit BaFin, Bundesfinanzministerium und Abgeordneten des Finanzausschusses, um eine einheitliche Auslegung zu schaffen und keine ‚Zwei-Klassen-Gesellschaft' für geschlossene Fonds zuzulassen. Schiffsfonds dürften im Übrigen sehr wohl als AIF anzusehen sein, wenn die Bereederung – wie üblich – durch den Reeder als Dritten (über einen Bereederungsvertrag) vorgenommen wird. In diesem Fall ist allein der Reeder operativ tätig, der Fonds hingegen nicht."
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Fazit:**
Das Auslegungsschreiben der BaFin enthält durchaus „Schlupflöcher" für geschlossene Fonds. Einzelfälle werden zeigen, wie groß diese tatsächlich sind. Fonds, die sie nutzen können, bleiben aber nicht unreguliert: Sie fallen unter das Vermögensanlagengesetz. Das bedeutet: Prospektpflicht mit strengen inhaltlichen Anforderungen.
(Kim Brodtmann)