„Die Talsohle scheint überwunden“

29.04.2025

Dr. Norbert Rollinger, Präsident des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V. (GDV) / Foto: © GDV

Exklusiv

Die Reform der privaten Altersvorsorge, die langfristige Absicherung von Elementarschäden und klare Verantwortlichkeiten in Sachen Cybersicherheit zählen zu den zentralen politischen Themen der Versicherungsbranche in diesem Jahr. Im Interview spricht Dr. Norbert Rollinger, Präsident des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V. (GDV), über zentrale Branchentrends, Entwicklungen der Lebensversicherer, der Schaden- und Unfallsparte sowie die Forderungen an die neue Bundesregierung.

finanzwelt: Herr Dr. Rollinger, was waren die zentralen Trends im Versicherungsjahr 2024?

Dr. Norbert Rollinger: Wenn wir uns die schwierige Lage der gesamten deutschen Wirtschaft anschauen, dann ist für uns Versicherer beim Blick zurück auf 2024 entscheidend: Die Talsohle scheint überwunden. Wir haben aufgrund der sehr schnellen Zinsanstiege und der hohen Unsicherheit drei schwierige Jahre hinter uns. Jetzt schauen wir wieder zuversichtlich nach vorn und erwarten im laufenden Geschäftsjahr 2025 ein stabiles Beitragswachstum.

finanzwelt: 2024 erzielten die Lebensversicherer ein Beitragswachstum von 2,6 % auf rund 94 Mrd. Euro. Während das Einmalbeitragsgeschäft im Vergleich zum Vorjahr um rund 10 % zulegte, ging der laufende Beitrag um 0,2 % zurück. Was waren die Gründe dafür? Wie ist Ihre Prognose für dieses Jahr?

Dr. Rollinger: Für die sinkenden laufenden Beiträge 2024 sehen wir vor allem zwei Gründe: Erstens haben Kunden aus der Generation der Babyboomer, die jetzt in Rente gehen, teilweise Kapitallebensversicherungen, die nun auslaufen. Und zweitens beobachten wir wegen der gestiegenen Zinsen am Kapitalmarkt ein etwas höheres Storno. 2025 dürften die Beitragseinnahmen um 1,3 % zulegen. Wir erwarten, dass sich steigende Löhne, rückläufige Inflationsraten und die aktuelle Zinsentwicklung positiv bemerkbar machen.

finanzwelt: Wie ist das Geschäft in der Schaden- und Unfallsparte 2024 verlaufen? Welche Tendenzen sehen Sie für 2025?

Dr. Rollinger: Die Schaden- und Unfallversicherung ist 2024 mit 7,8 % robust gewachsen. Dieses Wachstum ist insbesondere die Folge der Inflationsentwicklung der Vorjahre: Die Baukosten sind deutlich gestiegen, ebenso die Preise für die Reparatur von Autos. Anders als im Vorjahr sind die Schäden 2024 aber langsamer gestiegen als die Beitragseinnahmen. Unter dem Strich steht daher in der Schaden- und Unfallversicherung ein etwas verbessertes versicherungstechnisches Ergebnis mit einem Gewinn von rund 1,9 Mrd. Euro. 2025 sollten sich die Nachholeffekte der Inflationsentwicklung deutlich abmildern.

finanzwelt: Wie schätzen Sie insbesondere die weitere Prämienentwicklung in der Kfz-Versicherung ein?

Dr. Rollinger: 2024 standen in der Kfz-Versicherung jedem eingenommenen Euro Ausgaben von einem Euro und sechs Cent gegenüber. Das bedeutet zwar immer noch einen versicherungstechnischen Verlust von rund 2 Mrd. Euro, ist aber eine Verbesserung zum Vorjahr. 2025 erwarten wir erneut ein zweistelliges Wachstum der Beitragseinnahmen. Wenn es nicht zu außergewöhnlichen Belastungen durch Naturgefahren kommt, dürften die Kfz-Versicherer nach drei Jahren mit teilweise sehr hohen Verlusten dieses Jahr wieder eine schwarze Null schreiben.

finanzwelt: Was sind 2025 die größten Herausforderungen für die Versicherer?

Dr. Rollinger: Eine der großen Herausforderungen lautet, wie sich Elementarschäden langfristig versicherbar halten lassen. Daran sollten Staat und Versicherer gemeinsam arbeiten. Eine Pflichtversicherung ist keine Lösung, da sie weder Schäden verhindert noch Prämien senkt. Erfolgreiche Modelle im Ausland, wie das britische System, könnten als Vorbild dienen, um risikobasiert und marktwirtschaftlich bezahlbaren Schutz zu gewährleisten. Eine andere Herausforderung bleibt die private Altersvorsorge. Hier gibt es weiterhin großen Reformbedarf, denn der demografische Wandel stellt das Rentensystem vor große Herausforderungen. Die künftige Last muss klug auf alle drei Säulen verteilt werden. Für die neue Bundesregierung muss das Priorität haben.

finanzwelt: Welche wichtigen Forderungen haben Sie aus Sicht der Versicherungswirtschaft an die neue Bundesregierung?

Dr. Rollinger: Einige für uns wichtige Themen habe ich ja schon genannt: Absicherung gegen Elementarschäden, Bürokratieabbau, Reform der privaten Altersvorsorge. Außerdem liegt uns das Zukunftsthema Künstliche Intelligenz am Herzen. Hier brauchen wir vor allem Rechtssicherheit. Versicherer wollen das enorme Potenzial von KI nutzen, um Schadenregulierungen zu beschleunigen, große Datenmengen effizient zu verarbeiten und individuelle Versicherungslösungen zu entwickeln. Ein weiteres zentrales Thema für uns ist der Datenschutz. Die Datenschutzgrundverordnung DSGVO ist wichtig, aber ihre derzeitige Ausgestaltung bremst den digitalen Fortschritt aus. Und als dritten Punkt nenne ich das Steuerrecht. Neben niedrigeren Unternehmenssteuern, die einem internationalen Vergleich standhalten, müssen wir in Deutschland dringend viele einzelne Vorschriften im Steuerrecht anpassen.

finanzwelt: Welche wichtigen Themen stehen dieses Jahr auf der Agenda des GDV?

Dr. Rollinger: Über zwei sehr wichtige Themen haben wir bereits gesprochen: Die Absicherung von Naturgefahren in Zeiten des Klimawandels und die dringend notwendige Reform der geförderten privaten Altersvorsorge. Darüber hinaus arbeitet der Verband derzeit intensiv an einem ganzheitlichen Konzept zum Schutz vor Cyberangriffen. Der ungenügende Schutz gegen Cyberangriffe ist ein Problem, auf das die Wirtschaft schlecht vorbereitet zuläuft. Die Versicherungswirtschaft fordert daher klare Verantwortlichkeiten in Sachen Cybersicherheit: Eine zentrale Stelle, die Krisen früh erkennt und schnell reagiert. Zudem sollte es Notfallpläne und Reaktionsstrategien geben, damit ein Cyberangriff die deutsche Wirtschaft nicht unvorbereitet trifft. Zudem müssen systemische Schäden abgesichert werden. Denn privatwirtschaftliche Versicherungen können viele Risiken abdecken, aber nicht die Folgen einer Cyberpandemie. Dafür schlagen wir ein Public-Private-Partnership-Modell vor. (mho)