Herrlich und ehrlich

10.06.2020

Philip Wenzel, Fachwirt für Versicherungen und Finanzen (IHK), Biometrie-Experte und Chefredakteur von worksurance.de / Foto: © Philip Wenzel

Die Rentenversicherung ist die herrlichste aller Versicherungen. Denn anders, als bei den anderen Produkten, ist das vorsätzliche Herbeiführen des Versicherungsfalls nicht ausgeschlossen. Ich kann also gesund leben und alles dafür tun, so alt zu werden, wie ich nur will. Der Versicherer muss so lange zahlen, wie ich lebe. Selbst, wenn ich mit voller Absicht lange lebe. Und damit sind wir auch schon beim Sinn der Rentenversicherung. Es geht darum, mein Langlebigkeits-Risiko abzudecken. Also, das Risiko, länger zu leben, als das Geld reicht. Wie bei jeder Versicherung geht es darum, dieses Risiko perfekt abzudecken.

Leider wurde die Rentenversicherung viel zu lange als Geldanlage verkauft, weshalb die Rendite immer mehr in den Vordergrund geschoben wurde. Der Kunde schaut also, was am Ende an Geld rauskommt. Und wer am meisten verspricht, der wird gekauft. Das ist aber aus einigen Gründen falsch. Der erste Grund liegt darin, dass jede Hochrechnung mit maximaler Wahrscheinlichkeit falsch ist. Eine Hochrechnung funktioniert nämlich folgendermaßen: Ich nehme die monatliche Einzahlung und die Laufzeit und rechne das Ganze mit der gleichbleibenden Verzinsung von, sagen wir, 6 % hoch. Dann kommen bei 100 Euro im Monat und 30 Jahren Laufzeit am Ende 100.562,01 Euro raus. Habe ich aber zu Beginn hohe Zinsen und am Ende niedrige, kann auch 82.512,38 Euro rauskommen, obwohl die durchschnittliche Verzinsung über die Laufzeit bei genau 6 % liegt. In einem anderen Szenario können auch gerne mal 122.935,70 Euro rauskommen, wenn ich anfangs keine und später hohe Zinsen habe. Also, selbst wenn der Versicherer versucht, ehrlich zu sein, stimmt die Hochrechnung nicht.

Oft ist der Versicherer aber auch nicht besonders ehrlich. Oft wird bei einem Zwei- oder Drei-Topf-Modell, in dem das Anlagevermögen verschieden investiert ist, das gesamte Geld mit 6 % hochgerechnet. Dabei müsste aktuarisch korrekt jeder Topf so hochgerechnet werden, wie es eben möglich ist. Und da bei fast jedem Modell der Deckungsstock des Versicherers dabei ist, müsste dieser Teil halt auch mit 2 bis 3 % maximal hochgerechnet werden. Auch ist es immer fraglich, ob die 6 % Wertentwicklung nach oder vor Kosten zu verstehen sind. Eine Wertentwicklung vor Kosten performt dann tatsächlich nur mit 4,8 %, weil auf dem Vertrag 1,2 % Kosten liegen, und eine Wertentwicklung nach Kosten muss tatsächlich 7,2 % erreichen, um mit 6 % zu performen. Am dreistesten ist es aber, wenn Kosten nicht ein kalkuliert sind, aber die Kickbacks gutgeschrieben werden. Kickbacks sind Rückerstattungen von Kosten, die aufgrund der großen Bündelung niedriger ausfallen, als geplant. Diese Kickbacks sind nicht garantiert, liegen aber auch mal bei 1 %. So kann es vorkommen, dass ein Vertrag mit 6 % Wertentwicklung mit ein wenig Schummelei tatsächlich mit 7 % performt.

weiter auf Seite 2