Für Aktien konstruktiv optimistisch, bei Anleihen jedoch tendenziell Gewitterwolken

21.06.2018

Dr. Dirk Rüttgers, Vorstandsvorsitzender der Do Investment AG / Foto: © Do Investment AG

finanzwelt: Zwar sind momentan viele Augen auf die Fußball-WM gerichtet, aber das Kapitalmarktgeschehen ruht indes nicht. Wie ist Ihre Erwartungshaltung für das zweite Halbjahr? Werden wir beispielsweise eine erhöhte Vola im Markt sehen?

Dr. Rüttgers: Für den weiteren Verlauf des Jahres sind wir für Aktien konstruktiv optimistisch, bei Anleihen sehen wir jedoch tendenziell Gewitterwollen aufziehen.

Das erste Mal seit dem Jahr 2010 erlebt die Welt wieder einen synchronen Aufschwung und alle Regionen befinden sich im zyklischen Aufwind. Die Berichtssaison der US-Unternehmen für das erste Quartal 2018 untermauert den Trend steigender Unternehmensgewinne mit einer rekordverdächtigen Gewinnwachstumsrate von 27 Prozent. Dies ist vor allem ein Spiegelbild der groß angelegten US-Steuerreform und der wirtschaftsfreundlichen Deregulierungsmaßnahmen. Auf der Unternehmensseite scheinen die „Animal Spirits“ (Lebensgeister) geweckt und Unternehmen sind endlich bereit, Investitionsentscheidungen zu treffen und nicht nur Dividenden auszuschütten und eigene Aktien zurückzukaufen. Die Zentralbanken der Industrieländer bleiben bei negativen realen Leitzinssätzen. Entsprechend gering ist die Verzinsung bei Anleihen. Im Gegensatz dazu gibt es auf der Aktienseite ausgewählte Unternehmen mit einer attraktiven Free-Cash-Flow-Rendite. Auf relativer Basis erscheinen Aktien gegenüber Anleihen weiter attraktiv.

Bei Anleihen gab es jüngst erhebliche Volatilitäten. Die seit Mai bestehenden politischen Spannungen in Italien belasteten italienische Staatsanleihen. Aber auch weitere Krisenherde fungierten als Bremsklotz. Das hoch verschuldete Argentinien musste erneut einen Kredit von 50 Milliarden US-Dollar vom Internationen Währungsfonds (IWF) in Anspruch nehmen. In der Türkei fühlte sich die Notenbank gezwungen, durch eine deutliche Leitzinserhöhung gegen den drastischen Wertverfall der Landeswährung Lira vorzugehen. Allein von März bis Mai ist die Inflation in der Türkei um zwei Prozent auf 12 Prozent angestiegen und der IWF spricht von einer Überhitzung der türkischen Wirtschaft. In der zweiten Jahreshälfte könnte sich bei der Inflation ein Sturm zusammenbrauen, was Anleihen in der Breite belasten könnte. Die US-amerikanische Inflation ist mit 2,8 Prozent bereits jetzt gegenüber dem Vorjahr auf ein Sechs-Jahres-Hoch angestiegen. Und auch in der Eurozone liegt die Inflationsrate mit 1,9 Prozent (Deutschland 2,2 Prozent) in der Nähe des Ziels, welches die Europäische Zentralbank (EZB) vor Augen hat. Bei Nominalzinsen zehnjähriger Bundesanleihen von 0,5 Prozent erleidet der durchschnittliche Deutsche, der Geld gerne auf Sparkonten hortet (39 Prozent in Bargeld und Einlagen), erhebliche reale Vermögensverluste. Der lange Wirtschaftsboom in den USA führt zu einem deutlich messbaren Mangel an Arbeitskräften. In den USA gibt es erstmalig in der Geschichte mehr offene Stellen (6,7 Millionen), gemessen an den Stellenangeboten, als offizielle Arbeitslose (6,1 Millionen). In der Konsequenz drohen steigende Löhne und damit Inflationsdruck. Dies könnte in den USA zu weiter steigenden Renditen führen und die Rentenkurse weiter unter Druck setzen. In Europa wird zudem die EZB bald ihr Wertpapierkaufprogramm beenden. Nach September reduziert die EZB die monatlichen Anleihekäufe von 30 auf 15 Milliarden Euro und lässt das Programm schließlich zum Jahresende auslaufen. Eine erste Zinserhöhung könnte dann in der zweiten Jahreshälfte 2019 erfolgen.

finanzwelt: Sind deutsche Aktien (DAX) aktuell fair bewertet?

Dr. Rüttgers: Auf Basis der Gewinnschätzungen für das Gesamtjahr 2018 erscheinen uns Aktien im deutschen Leitbarometer DAX derzeit mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von 13,2 nicht überteuert. Der Fünf-Jahres-Durchschnittwert liegt mit 13,4 auf einem ähnlichen Niveau. Am Fünf-Jahres-Bewertungshoch im April 2015 wies der DAX mit 15,9 eine um 20 Prozent höhere Bewertung auf als dies derzeit der Fall ist. Natürlich ist Bewertung auch immer etwas Relatives. Mitten in der Eurokrise im Jahr 2011 stand der DAX zeitweise bei einem KGV von 8,0 und damit circa 40 Prozent unter dem heutigen Bewertungsniveau. Der Kehrwert des KGV lässt sich auch als sogenannte Gewinnrendite interpretieren, welche anzeigt, wieviel Gewinn ein Investor pro Jahr für den jeweiligen Kaufpreis erhält. Bei dem aktuellen KGV beträgt die Gewinnrendite 7,6 Prozent. Wenn dies mit der aktuellen Rendite von zehnjährigen Bundesanleihen von 0,5 Prozent verglichen wird, erscheint der DAX nicht überteuert. Anleger sollten jedoch beachten, dass der DAX Klumpenrisiken aufweist und die sechs größten Unternehmen in etwa die Hälfte des gesamten Index ausmachen.

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