„Es geht immer weiter!“
26.04.2023
Markovic-Sobau» Als Krankenversicherung sind wir von der Überregulierung in der Beratung nicht betroffen. Deswegen bewerte ich das ganze Thema positiver. Wir sind inspiriert und entdecken Potenziale in unseren Geschäftsmodellen, mit denen wir auch die Kunden erreichen können. Beispielsweise wenn wir von nachhaltiger Kalkulation und Beitragsstabilität sprechen – und das seit 30 Jahren, auch wenn das der Nachhaltigkeit im Sinne der SDGs [UN-Ziele für Nachhaltige Entwicklung, a. d. R.] nur indirekt entspricht. Oder bei verschiedenen Produktlösungen, wie der betrieblichen Krankenversicherung. Damit helfen wir anderen Unternehmen, ihre ESG-Ziele zu erreichen. Hier setzen wir proaktiv an. Ohne Zwang ist das Thema Nachhaltigkeit viel besser und mit einem Mehrwert umzusetzen. Zwang und Überregulierungswahn verdrehen das. Besonders, wenn die Regulation gar nicht eindeutig ist.
finanzwelt: Wie lautet Ihre Einschätzung zum Provisionsverbot? Wird eine entsprechende Regulierung kommen?
Markovic-Sobau» Meiner Meinung nach ja. Wann, ist unklar, aber damit rechnen sollte man. Die Hälfte der Branche wird dennoch unvorbereitet sein und davon überrumpelt werden. In meinen Augen kommt da wieder dieses Umsetzungsproblem zum Tragen. Es fehlt eine proaktive Problemlösung, um das Geschäftsmodell auf das drohende Provisionsverbot hin neu auszurichten.
Radl» Ich schätze, spätestens mit der nächsten Legislaturperiode wird es kommen. Aber aus meiner Sicht ist das nicht zielführend. Die ‚kleinen‘ Kunden, bei denen jetzt schon ein immenser Beratungsbedarf herrscht und die eigentlich überall ein bisschen durch das Raster fallen, werden noch mehr auf der Strecke bleiben. Keiner wird sich mehr um sie kümmern. Und das trifft gerade auch junge Leute, die oftmals nicht über viel Kapital verfügen. Das ist eine fatale Entwicklung. Mit einem Provisionsverbot leiden wieder die, die jetzt schon leiden, nur noch mehr. Siehe die Länder, die bereits ein Provisionsverbot eingeführt haben.
finanzwelt: Richtig, UK, Niederlande, dazu gibt es bereits entsprechende Studien, die eine Beratungslücke belegen.
Radl» Da ging der Schuss voll nach hinten los. Das betrifft auch die Altersarmut von Frauen. Bereits heute haben Frauen im Schnitt eine gesetzliche monatliche Rente von 600 bis 700 Euro. Deshalb predigen wir täglich: Sorgt vor, macht irgendwas, egal ob Versicherung oder Fondssparplan, sonst wird es später nicht mehr reichen. Aber mit dem Verbot fallen genau diese Frauen hinten runter. Das, was wir machen, die unabhängige Beratung, wird auf der Stecke bleiben. Große Vertriebe werden nur noch reinen Produktverkauf und Standardlösungen anbieten oder Kunden schließen selbst was im Internet ab. Das ist reiner Unfug. Und wie Sie sagen, UK ist das beste Beispiel. Es funktioniert nicht.
Markovic-Sobau» Ja, in der Tat. Auch Pflichtmodelle oder Sozialpartnermodelle werden nicht reichen, um die Rentenlücke zu schließen. Mit einem Provisionsverbot wird Altersarmut nicht bekämpft. Es lässt die Beratungsindustrie schrumpfen. Auch die Digitalisierung wird nicht alles für uns richten. Eine Lösung zur Altersabsicherung zu finden, ist nicht beratungsintensiv.
» Die ‚kleinen‘ Kunden, bei denen jetzt schon ein immenser Beratungsbedarf herrscht und die eigentlich überall ein bisschen durch das Raster fallen, werden noch mehr auf der Strecke bleiben. «
» Ich finde, jeder Kunde sollte das bekommen, was er möchte. «
− Gabriele Radl
Aber die Bedarfsberatung ist es. Das schaffen nur die Vermittler. Vieles, was heute selbstverständlich in den Beratungsgesprächen mitläuft, die Aufklärung über Versorgungslücken, sei es in der Absicherung der Arbeitskraft oder des Pflegerisikos, wären vom Provisionsverbot betroffen. Den Kunden wird das Verbot nicht helfen, und besonders beratungsintensive Produkte werden sie kaum online selbst abschließen. Die deutsche Bevölkerung wird noch schlechter versorgt sein. Nicht, weil sie die Mittel nicht haben, sondern weil sie unaufgeklärt sind. Man schüttet das Kind mit dem Bade aus.
Bender» Beim Provisionsverbot an sich bin ich bei Ihnen: ich denke auch, dass das Thema eher bei der nächsten Regierung liegt. Wir haben von unserer Warte aus bereits verschiedene Modelle, da wir ja auch mit institutionellen Investoren arbeiten. Gerade die Honorarberatung ist in Deutschland allerdings schwer durchzusetzen. Insgesamt werden die, die es sich dann noch leisten können, ihr Geld weiter vermehren, der Rest schließt im Internet ab oder bleibt auf der Strecke. Dadurch wird dann auch die Schere immer weiter auseinandergehen.
Radl» Aber die gute Nachricht ist: Gehen Sie ins Senckenberg Museum in Frankfurt, schauen Sie sich die Dinosaurier an, die 180 bis 250 Millionen Jahre vor uns gelebt haben – dann wissen Sie, es geht immer weiter.
finanzwelt: Das ist doch ein schönes Schlusswort! Vielen Dank. (lb)