Der Brexit als Wille und Vorstellung

24.07.2019

Johannes Müller, Head Macro-Research bei DWS / Foto: © DWS

Ohnehin wird auch das Parlament den Plänen Johnsons im Weg stehen. Einen No-Deal-Brexit am 31. Oktober durch Suspendierung des Parlaments zu erzwingen, haben die Parlamentarier mittels Beschluss nahezu unmöglich gemacht. Eine Neuverhandlung des irischen Backstops ist nur mit Parlament möglich. Könnte sich Johnson in Neuwahlen flüchten? Damit riskierte er den Verlust der Tory/DUP-Mehrheit, da sich die EU-Anhänger an Labour oder die Liberal Democrats (UK) wenden würden und die Brexit-Hardliner für die neue Brexit-Partei stimmen könnten, die jetzt noch nicht im britischen Parlament vertreten ist. Eine Hoffnung bleibt Johnson: Die EU hat Bereitschaft signalisiert, mit der neuen Regierung Arbeitsbeziehungen aufzunehmen. Vielleicht kann Johnson über einige Änderungen an der (nicht bindenden) Absichtserklärung verhandeln, die dem Austrittsabkommen hinzugefügt wird.

Unterdessen betont die Bank of England (BoE) immer wieder die negativen Folgen eines möglichen Brexit. So sagte ihr Gouverneur Carney neulich, dass die Unsicherheit des Brexit dazu führe, dass die britischen Unternehmensinvestitionen im Vergleich zu den G7-Ländern um 12 Prozent zurückgegangen seien. Derzeit befindet sich das zugrunde liegende Wachstum unter dem Potenzial und hängt stark von den weiter ausgabenfreudigen Privathaushalten ab. Wir glauben nicht mehr, dass die BoE noch mit einer Zinserhöhung plant. Ob sie eine Zinssenkung vornehmen wird, hängt vom weiteren Brexit-Verlauf ab. Sollte es zu keiner Einigung kommen, erwartet die BoE Angebots- und Nachfrageschocks, denen sie mit einer Lockerung der Geldpolitik begegnen würde.

Die aktuellen Prognosen der DWS gehen von einem BIP-Wachstum von 1,4 Prozent für 2019 und 1,5 Prozent für 2020 aus, basierend auf unserem Hauptszenario eines Verbleibs in der EU oder eines weicheren Brexit-Szenarios. Die Einkaufsmanagerindizes sind im Juni unter die 50er Marke gefallen, was auf eine langsamere Investitionstätigkeit der Unternehmen hindeutet. Der private Konsum bleibt damit der wichtigste Treiber der Wirtschaft. Längere Unsicherheit wird zu mehr Investitionszurückhaltung und weiterer Wachstumsverlangsamung führen.

Es gibt derzeit kein einziges Szenario, dem wir eine Wahrscheinlichkeit von mehr als 50 Prozent beimessen würden. Die Situation bleibt im Wesentlichen die gleiche: eine Menge unüberwindlicher Meinungsunterschiede. Trotz historisch relativ attraktiver Bewertungen in einigen Bereichen, spricht das weiterhin dafür, britische Vermögenswerte zu meiden.

Marktkommentar von Johannes Müller, Head Macro Research DWS