Chinas Tech-Riesen im Visier der Regulierungsbehörden
30.08.2021
Hagen Ernst, stellvertretender Leiter Research & Portfoliomanagement bei der DJE Kapital AG / Foto: © DJE
Spieleindustrie: Bannmeilen für „geistiges Opium“
Auch die Spieleindustrie, von der chinesischen Regierung ohnehin nur widerwillig toleriert, ist erneut in den Fokus der Regulierung geraten. Die Unternehmen dieses Segments erlebten bereits 2018, dass die Behörden monatelang keine neuen Spiele mehr genehmigten. Nun übte die Staatsführung wieder harsche Kritik an Computerspielen, diese seien „geistiges Opium“ und hätten negative Folgen für Verhalten und Bildung von Kindern. Künftig soll vor allem der Zugang von Minderjährigen stärker reguliert werden.
Führende Spieleanbieter, wie Tencent oder NetEase, haben darum bereits seit geraumer Zeit diverse Funktionalitäten wie Gesichtserkennung, Spielerregistrierung sowie zeitliche Spieldauerbegrenzungen für Minderjährige eingeführt, diese nach der jüngsten staatlichen Kritik nochmals verschärft. Die beiden Unternehmen erwirtschaften einen Großteil ihres Gewinns im Spielesegment. Entsprechend sensibel reagieren diese Werte auf eine derartige Kritik. Aber eine schärfere Regulierung muss nicht zwangsläufig zu Umsatzrückgängen führen. Maßnahmen zum besseren Schutz Minderjähriger könnte die Branche verkraften. Tencent etwa erzielt nur ein bis zwei Prozent seines Umsatzes (die Dunkelziffer ist sicherlich höher) bei dieser Altersgruppe. Sollte es aber zu einer breit angelegten Intervention wie generellen Spieleverboten oder starken Spielzeitbegrenzungen kommen, würden Umsatz und Gewinn von Tencent und NetEase einbrechen.
Plausible Ziele müssen nicht abschrecken
Die weitere Entwicklung chinesischer Technologiewerte ist schwer einzuschätzen. Zum einen, weil die chinesischen Regulierungsbehörden so hart vorgehen – zum anderen, weil es nicht klar ist, ob und welche Maßnahmen noch folgen. Daher ist es auf den ersten Blick nachvollziehbar, dass sich einige ausländische Investoren von diesen Titeln verabschiedet haben. Die jüngsten Schritte gegenüber Anbietern von Online-Bildungsangeboten haben verdeutlicht, wie hoch das Risiko ist. Im schlimmsten Fall sind Geschäftsmodelle von heute auf morgen nicht mehr existent. Vor allem die Spieleindustrie könnte es mit neueren, noch härteren Regulierungsmaßnahmen treffen.
Allerdings sind die Ziele, die Chinas Machthaber mit ihren Interventionen erreichen wollen, durchaus plausibel: Nachhaltigkeit, mehr Datenschutz, mehr Wettbewerb bzw. Machtbegrenzung einzelner Konzerne, gerechtere Löhne, Jugendschutz oder gleiche Bildungschancen für alle. Die bislang verhängten Regulierungsmaßnahmen dürften das Gros der chinesischen Technologiekonzerne nur am Rande betreffen. Das zukünftige Wachstum wird aber nachhaltiger werden müssen: Internetriesen wie Tencent oder Alibaba werden langfristig vermutlich etwas langsamer als der Markt wachsen, damit andere Anbieter Marktanteile gewinnen können. Eine Kurskorrektur von über 40 Prozent rechtfertigt das nicht. Pessimisten argumentieren, dass die Regulierung zu mächtig gewordener Internetkonzerne erst begonnen habe. Optimisten wiederum betrachten den harten Eingriff im Bildungssektor als Einzelfall und setzen darauf, dass es im Interesse Chinas ist, gute und leistungsfähige Technologiekonzerne im Land zu haben. Zudem sind Onlinedienste wie WeChat und Onlinehandel mittlerweile feste Bestandteile in Gesellschaft und Wirtschaft.
Nischen prüfen: Chancen für kleinere Tech-Unternehmen
Eine mögliche Strategie wäre, in Unternehmen zu investieren, die von den Regulierungsmaßnahmen nicht so stark betroffen sind. Die in unserem Alltag nicht mehr wegzudenkende E-Commerce-Sparte ist weniger sensibel als die Computerspielebranche. Mehr Wettbewerb ist für Alibaba als dominierenden E-Commerce-Anbieter zwar von Nachteil, könnte sich aber für die kleineren Mitbewerber, wie JD.com, Pinduoduo oder Vipshop, in Form von Marktanteilsgewinnen positiv auszahlen. Aufgrund ihrer geringen Liquidität sind diese Titel zum Teil sogar stärker gefallen als Alibaba. JD.com und Vipshop treten zudem primär selbst als Verkäufer statt als Market Place für Dritte auf und sind daher von einer möglicherweise strikteren Handhabung von Daten nicht so stark betroffen.
Gastbeitrag von von Hagen Ernst, stellvertretender Leiter Research & Portfoliomanagement bei der DJE Kapital AG