Bloß nicht in Angst erstarren!
23.04.2025

finanzwelt-Redakteur Stefan Gehrke, Stefan Schmitt, Matthias Wulfers, Thomas Buchholz, Matthias Mohr und finanzwelt- Chefredakteur Alexander Heftrich (v.l.n.r.)
Buchholz: Das sehe ich genauso. Übrigens existieren heute schon sinnvolle Lösungen: Im Versicherungssektor gibt es bei der steuerlichen Förderung die Basisrente mit der Möglichkeit, 100 %ige Aktieninvestments zu nutzen und jetzt schon davon zu partizipieren. Die Verunsicherung müssen Berater ihren Kunden nehmen, damit sie anfangen zu sparen, der Faktor Zeit spielt eine entscheidende Rolle.
Mohr: In der Tat ist der Punkt ‚Transparenz‘ wichtig. Die fehlende Klarheit lähmt das Land und lässt Anleger verunsichert am Seitenrand zurück. Es bedarf eines Rucks, der durchs Land geht und alle mitnimmt. Dann kommt der Glaube an die eigene Stärke zurück. Deutschland galt lange als Konjunkturlokomotive Europas und hat in seiner Geschichte immer wieder gezeigt, dass es das Potenzial hat, sich neu zu erfinden. Mal angenommen, das Finanzierungspaket kommt jetzt durch – in welcher Form auch immer. Investitionen werden gemacht in Infrastruktur und Verteidigung. Dann schätzen wir, dass das zu mehr Wachstum in den nächsten Jahren führen kann. Und wir finden schon heute als ‚Stockpicker‘ interessante Geschäftsmodelle in Deutschland.
Schmitt: Es scheint mir wichtig darauf hinzuweisen, dass rund 80 % der Erträge, die die DAX- Konzerne machen, außerhalb Deutschlands generiert werden. Und wenn jetzt neue Konjunkturpakete kommen – Rüstung, Infrastruktur, Kaufanreizsysteme –, dann entsteht ein Impuls für die Binnenwirtschaft, zusätzlich zu den internationalen Erträgen. Das ist etwas, was viele vielleicht irritiert, wenn man mal ein bisschen professioneller auf das Ganze blickt. Warum steigt der DAX so stark an, obwohl Deutschland schlechtgeredet wird? Eben weil die DAX-Unternehmen in Deutschland fast gar kein Geld verdienen. Hier muss man auch mal differenzieren. Das gilt für die Sparpläne: Man kann ja auch nicht nur ein MSCI World besparen, sondern auch drei verschiedene ETFs – und seine Asset Allokation selbst zusammenstellen. Deutschland ist raus der Komfortzone. Der Wahlausgang zeigt das. Hinzu kommen die neue US-Administration und ihre veränderte Sicht auf die Weltlage und ihr Selbstverständnis. Wenn ich einen Wunsch an die deutsche Regierung richten dürfte: Eine neue Komfortzone aufbauen, übergeordnete Themen klar strukturieren und dann erst in die kleinteiligen Diskussionen gehen.
finanzwelt: Die Adlerperspektive legen wir jetzt einmal beiseite. Kommen wir mal zu den Produkten, Strategien, Trends – vielleicht auch Megatrends –, die Sie aktuell am Markt ausmachen.
Mohr: Bei der Capital Group verfolgen wir den Ansatz, über den Tellerrand zu blicken. Wir halten Ausschau nach dauerhaften Trends, die das Potenzial haben, über einzelne Branchen hinauszuwachsen und die Gesellschaft auf Jahre hinaus zu beeinflussen. Diese finden Eingang in unsere globalen Portfolios. Ich erwähne den New Perspektive Fund, der eine stolze 50-jährige Geschichte hat. Hier kann man also aus der Vergangenheit lernen, wie man nach vorne schaut – beispielsweise, wenn es um das Thema Altersvorsorge geht. Megatrends identifizieren wir immer vom Unternehmen kommend. Die Capital Group verfügt jährlich über rund 20.000 Unternehmenskontakte – über unsere Analysten und Portfoliomanager kristallisieren sich Trends quasi aus der ‚Bottom-up-Analyse‘ in den Gesprächen und Kontakten heraus. Trends, die wir aktuell sehen und weitestgehend auch in den Portfolios umsetzen, sind einerseits der unaufhaltsame Spurt von KI und alles, was damit zusammenhängt: Cloud-Computing, Supercomputer, die gesamte Digitalisierung. Ja, die Magnificent Seven mögen momentan ein schwieriges Thema sein, wir sind allerdings schon länger breit aufgestellt und gehen davon aus, dass andere Marktteilnehmer aus diesem Bereich tendenziell zu den Leadern aufschließen könnten. Als weiteren Trend, der damit zusammenhängt, möchte ich die Renaissance der Industrialisierung, bzw. der Industriewerte nennen. Um große Datencenter aufzubauen, braucht es schweres Gerät, Baumaschinenhersteller, Kühlsysteme, Rohstoffe. Also alles, was damit zusammenhängt, finden wir momentan spannend im Portfolio. Der dritte Trend, den wir ausmachen und der bereits in breiten Teilen besetzt wurde, ist das Thema Healthcare Innovation – der gesamte Gesundheitssektor. Eine bahnbrechende Neuerung ist die mRNA-Technik, die in der Krebsforschung zum Einsatz kommt, sowie viele neue medizinische Patente, die durchgesetzt wurden und sich in Genehmigungsverfahren befinden. Wichtig bei all den Themen und Trends ist allerdings, dass wir diese nicht auf Jahresbasis betrachten, sondern eher in Dekaden denken und versuchen, durch kurzfristige Marktbewegungen durchzusteuern.
Wulfers: Bei Pangaea Life haben wir uns bewusst selbst beschränkt. Wir setzen auf konkrete Sachwerte: Einmal die Wohnimmobilien in deutschen ALagen sowie dem US-Sunbelt und auf der anderen Seite die Erneuerbaren Energien, also Windparks, Solarparks, Wasserkraftwerke und auch Batteriespeicher. Das sind unsere Megatrends. Die Stromproduktion, die gerade angesprochen wurde – für KI, Rechenzentren, Wärmepumpen, E-Autos etc. – ist ein Thema, mit dem sich der Kunde sofort identifizieren kann. Das ist kein abstraktes Finanzprodukt, das Börsenschwankungen unterliegt, sondern hier erkennt man den konkreten Investment-Case. Wohnen und Energie – das schafft Transparenz für den Kunden, der vielleicht Unsicherheit im Gesamten verspürt, aber dann im Bereich Geldanlage das Gefühl hat: Ich verstehe, in was ich hier investiere.
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