„Wundermittel 4-Tage-Woche?“
08.04.2024
Foto: Guido Zander und Buchcover © Guido Zander / Haufe Verlag
Für welche Branchen und Unternehmen ist die 4-Tage-Woche völlig ungeeignet?
Zander: Ich würde nicht sagen, dass es Branchen gibt, wo sie komplett ungeeignet wäre. Ausgangspunkt ist immer: Gelingt es in vier Tagen den gleichen Output zu bringen wie vorher in fünf? Und das ist in administrativen Bereichen einfacher als z.B. in der Produktion oder der Pflege oder bei der Bahn. Denn dort gibt es keine Zeitfresser, wie z.B. unproduktive Meetings, Treffen in der Kaffeeküche, Social Media-Aktivitäten u.v.m., die man mal eben abstellen könnte. Dafür gibt es dort sehr oft höhere Krankenquoten, die bei geringerer Wochenarbeitszeit sinken könnten. Dieser Effekt ist allerdings begrenzt und wird kaum eine Arbeitszeitreduktion von 40 auf 32 Stunden gegenfinanzieren. Die Bahn leistet gerade nicht ohne Grund heftigen Widerstand gegen die Forderungen der GDL. Kein Zug fährt schneller, nur weil die Lokführer weniger arbeiten. Die Folge wäre unweigerlich zusätzliches Personal, das man erstmal bekommen muss. Aber selbst wenn der Output nicht gehalten werden kann, könnte sich ein Unternehmen immer noch pro 4-Tage-Woche entscheiden, wenn die vorhandene Marge hoch genug ist, die sinkende Produktivität zu verkraften und man den Mitarbeitenden etwas Gutes tun möchte bzw. man sich Vorteile im Recruiting verspricht.
Unter welchen Bedingungen kann dieses innovative Konzept funktionieren? Was ist dabei unbedingt zu beachten? Bei welchen Wirtschaftszweigen und Unternehmen funktioniert das am besten?
Zander: Die Frage kann man am besten beantworten, wenn man sich die teilnehmenden Unternehmen bei den Studien ansieht, die sich in der UK freiwillig melden konnten. Die meisten Unternehmen hatten unter 100 Mitarbeitende und sind überwiegend aus dem Dienstleistungsbereich, also IT-Unternehmen, Steuerberater, NGOs, bei denen die Tätigkeiten nicht zeitpunktbezogen, sondern variabel sind. Denn wenn man Aufgaben nicht zu bestimmten Zeitpunkten erledigen muss, kann man diese auf vier Tage verteilen. Bei einem Call Center wäre das z.B. nicht möglich. Wenn dort am Freitag um zehn Uhr viele Anrufe eingehen, bringt es nichts, wenn die Mitarbeitenden am Freitag frei haben und dafür am Donnerstag länger arbeiten, wenn niemand mehr anruft. Anders ist das z.B. auch im Handwerk, hier spielt es keine Rolle, ob die Heizung am Donnerstagabend oder am Freitag eingebaut wird. Daher gehen viele Handwerksbetriebe bereits diesen Weg. Die Arbeitszeit auf der Baustelle wird von Montag bis Freitag verlängert, der Freitag ist frei und man spart sich eine Anfahrt zum Kunden.
Von Vorteil ist es auch, wenn man bis dato nicht so effizient unterwegs war, dann findet man leichter Optimierungspotenziale. Das ist jedoch gerade in Produktionsbetrieben schwierig, die global agieren. Durch den internationalen Wettbewerb sind diese in der Regel bereits so effizient, dass die Produktivität oft nur mit großem Aufwand gesteigert werden kann. Und wenn dies möglich ist, stellt sich die Frage, ob man diese Produktivitätssteigerung nicht benötigt, um im Wettbewerb bestehen zu können, anstatt diese in Form einer Arbeitszeitverkürzung an die Mitarbeitenden weiterzugeben.
Sie zeigen in Ihrem Buch auch praxistaugliche Alternativen zur 4-Tage-Woche, die deutlich flexibler sind und ähnlich positive Effekte aufweisen. Welche sind das?
Zander: Man muss die 4-Tage-Woche nicht dogmatisch umsetzen. Nehmen wir mal an, ein Unternehmen führt eine 4,5-Tage-Woche bei 36 Stunden Wochenarbeitszeit ein. Dies gäbe dem Unternehmen die Möglichkeit, die Wochenarbeitszeit flexibel an den Bedarf anzupassen. Wenn viel zu tun ist, arbeitet man fünf Tage, ist weniger zu tun, vier. Teilt man das tatsächlich 50:50 über das Jahr auf, bedeutet dies 23 zusätzliche freie Tage für die Mitarbeitenden. Das ist doch auch schon was, eine 4,75-Tage Woche wären immerhin noch 11,5 zusätzliche freie Tage. Alternativ kann man einfach auch die Beginn- und Endezeiten mehr flexibilisieren, wenn es die Tätigkeit erlaubt. Darüber hinaus versuchen wir in unseren Projekten, für Mitarbeitende den Einfluss auf die Lage der Arbeitszeit zu steigern und jährlich zwischen verschieden Arbeitszeiten wählen zu können, je nachdem, was in der aktuellen Lebensphase am besten passt. Mir persönlich ist es beispielsweise lieber, die Arbeitszeit auf bis zu sechs Tage zu verteilen. Wenn Donnerstagnachmittag schönes Wetter ist, mache ich lieber spontan Sport und arbeite dafür am Abend oder auch am Samstag nach, wenn dort z.B. schlechtes Wetter angesagt ist. Für mich wäre das Korsett einer verbindlichen 4-Tage-Woche viel zu eng und unflexibel. Aber das ist meine persönliche Sicht der Dinge und darüber hinaus wird es noch viele andere Sichtweisen und Vorlieben geben. Deshalb halte ich die 4-Tage-Woche sowohl für Unternehmen als auch Mitarbeitende nicht für das eine, seligmachende Modell, sondern nur eine von vielen Möglichkeiten.
Was ist abschließend Ihr wichtigster Rat an die Leser?
Zander: Immer misstrauisch werden, wenn es angeblich wieder diese eine einfache Lösung für alle Probleme gibt. Unsere Welt ist komplex und dementsprechend sind auch die Lösungen komplex und vielfältig.
Über den Autor
Guido Zander ist Dipl.-Wirtschaftsinformatiker und seit 1995 im Thema Arbeitszeit und Workforce Management aktiv. Seit 2005 ist er geschäftsführender Partner bei der SSZ Beratung. Als Vordenker ist er Keynote Speaker in den Themen Arbeitszeit und Zukunft der Arbeit. 2023 wurde er vom Personalmagazin als einer der 40 führenden HR-Köpfe ausgezeichnet. (mho)
Das Interview führte Markus Hofelich, Ressortleiter Versicherungen, finanzwelt