„Wir werden eine ‚Silberne Revolution‘ erleben“
24.11.2013
Dr. Walter Botermann
Deutschland altert mit atemberaubender Geschwindigkeit. Die auf das Umlageverfahren gegründeten sozialen Sicherungssysteme könnten dadurch in schwere Turbulenzen geraten. Ganz besonders gilt dies für die gesetzliche Krankenversicherung. Doch wie ernst ist die Gefahr wirklich?
finanzwelt sprach darüber mit Dr. Walter Botermann, Vorstandsvorsitzender der HALLESCHE Krankenversicherung. Und über die Frage, ob bei der PKV wirklich alles glatt läuft.
finanzwelt: Herr Dr. Botermann, viel wurde vor den Wahlen über unser Gesundheitssystem diskutiert. Und darüber, dass die nächste Bundesregierung angesichts der demografischen Entwicklung Weichen stellen muss. Wie ernst ist denn die Lage?
Dr. Botermann: Die Frage, ob etwas verändert werden muss, ist längst beantwortet. Denn die demografische Entwicklung lässt sich nicht überlisten, auch nicht mit politischer Schönfärberei. Man muss sich nur die künftige Entwicklung der Altersgruppen in Deutschland vor Augen führen. Zurzeit hat die Bundesrepublik etwa 81 Millionen Einwohner. Der Anteil der über 60-Jährigen liegt bei rund 26 %, die 20- bis 60-Jährigen kommen auf rund 55 % und die unter 20-Jährigen auf etwa 18 %. In nicht mal vier Jahrzehnten wird der Anteil der Menschen in der mittleren Altersgruppe, die im Wesentlichen die Sozialversicherungsbeiträge zahlen, auf 45 % gesunken sein, die der unter 20-Jährigen auf 15 %. Die Senioren machen dann 39 % aus. Zudem wird der Anteil der über 80-Jährigen dramatisch wachsen. Das sind Fakten, die sich nicht irgendein Kritiker des Umlageverfahrens ausgedacht hat. Sie beruhen vielmehr in erster Linie auf der 12. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung des Statistischen Bundesamtes. Wir werden eine „Silberne Revolution" erleben.
finanzwelt: Sie sprechen das Umlageverfahren an. Welche Auswirkungen werden die von Ihnen genannten Zahlen denn für das System der gesetzlichen Krankenversicherung haben?
Dr. Botermann: 2010 haben drei sozialversicherungspflichtig Beschäftigte einen Rentner finanziert. 2030 werden sich nur noch zwei Erwerbstätige diese Aufgabe teilen müssen. Und 2050 müssen eineinhalb Beschäftigte die Last schultern.
finanzwelt: Und wie werden die Folgen aussehen?
Dr. Botermann: Mit steigender Lebenserwartung geht ein Anstieg der Nachfrage nach medizinischen Leistungen einher. Beides zusammen wird die Kosten nach oben treiben.
finanzwelt: Dagegen steht aber doch die häufig geäußerte Klage über einen Ärztemangel, vor allem auf dem Land. Woraus dann wieder längere Wartezeiten resultieren.
Dr. Botermann: Dies wird sich deutlich verschärfen. Denn nicht nur der statistische Durchschnittsdeutsche altert, das trifft auch auf die Ärzteschaft zu. Schon heute ist der durchschnittliche niedergelassene Arzt über 52 Jahre alt, jeder fünfte bereits 60 und älter. Ich sehe hier einen veritablen Ärztemangel auf uns zukommen, bedingt durch Nachwuchsprobleme. Denn wenn der Anteil der jungen Menschen stetig abnimmt, kann es nicht gleichzeitig immer mehr Ärzte geben. Und natürlich darf nicht verschwiegen werden, dass die Budgetierung in der GKV nicht gerade zur Niederlassung einlädt.
finanzwelt: Das Umlageverfahren kann also Ihrer Meinung nach nicht mehr lange durchgehalten werden?
Dr. Botermann: In der jetzigen Ausprägung sicher nicht, und zwar aus unterschiedlichen Gründen. Immer ältere Menschen verursachen immer höhere Kosten. Rentner zahlen zwar auch in die GKV ein. Weil sie aber immer geringere Renten zur Verfügung haben werden, können ihre Beiträge nicht im Entferntesten die tatsächlichen Kosten decken. Das Defizit zwischen den durch sie verursachten Kosten und ihren Beiträgen lag schon vor vier Jahren bei rund 40 Milliarden Euro jährlich. Diese rund 26 % der Bundesbürger verursachen 49 % aller Leistungsausgaben in der GKV. Das Umlageverfahren ist längst außer Balance geraten.
finanzwelt: Die PKV kann's also besser?
Dr. Botermann: Ein Teil der Beiträge geht bekanntlich in die Alterungsrückstellung. Marktweit beträgt diese bereits deutlich über 180 Milliarden Euro. Mit Zins und Zinseszins wird daraus täglich mehr. Im Alter werden die Rückstellungen individuell entspart und gleichen so weitgehend den Nachteil altersbedingt höherer Ausgaben aus. Aber eines muss festgehalten werden: Ein erstklassiges Gesundheitssystem hat seinen Preis, günstiger wird es in der Zukunft sicher nicht.
finanzwelt: Wo liegen die wesentlichen Unterschiede zur GKV?
Dr. Botermann: Zunächst natürlich darin, dass sich jeder Kunde seinen Versicherungsschutz selbst aussuchen und zusammenstellen kann. Kassenmitglieder müssen hingegen mit dem auskommen, was ihnen der Gesetzgeber vorsetzt. Und das wird bekanntlich immer weniger. Sie sind auch anders als Privatpatienten nicht vor Leistungskürzungen geschützt. Von denen wir ja in der Vergangenheit reichlich hatten. In der PKV gilt dagegen eine lebenslange Garantie für vereinbarte medizinische Leistungen. Vor diesem Hintergrund haben auch nur unsere Kunden freie Arztwahl und Therapiefreiheit. Und ich darf in diesem Zusammenhang daran erinnern, dass die PKV der Innovationsmotor in der Gesundheitsversorgung aller Bundesbürger ist – Kassenpatienten eingeschlossen. Im Übrigen benötigen wir auch keine milliardenschweren Steuerzuschüsse, wie sie die gesetzlichen Krankenkassen erhalten.
finanzwelt: Es heißt immer wieder, dass Ärzte sich an der PKV „gesund verdienen".
Dr. Botermann: Für mich ist das ein Stück Solidarität. Ins prozentuale Verhältnis gesetzt, erzielen Krankenhäuser über Privatpatienten einen Mehrumsatz von 500 Millionen Euro, niedergelassene Ärzte von 5,4 Milliarden Euro. Macht 43.000 Euro, die jeder niedergelassene Arzt in seine Praxis investieren kann. Das kommt letztlich auch den Kassenpatienten zugute.
finanzwelt: Welche Antworten hat die PKV denn auf Zukunftsfragen und den demografischen Wandel?
Dr. Botermann: Mal davon abgesehen, dass Beamte branchenweit und Arbeitnehmer bei einigen Unternehmen über Öffnungsaktionen sehr preiswerten Versicherungsschutz erhalten können, gibt es eine ganze Reihe von Maßnahmen. Denken Sie beispielsweise nur daran, dass bei uns Überschüsse zugunsten unserer Versicherungsnehmer verwendet werden. Oder dass in der Prämie bereits ein zehnprozentiger gesetzlicher Zuschlag zur Beitragsstabilisierung oder gar -senkung vorgesehen ist. Darüber hinaus können Rentner unter bestimmten Umständen zum GKV-Beitrag in den Standardtarif wechseln. Wir nehmen Nichtversicherte in den Basistarif auf. Damit helfen wir sehr vielen Menschen, übrigens auch vielen Freiberuflern und Solo-Selbstständigen. Und letztlich gibt es auch noch den Notlagentarif für Nichtbeitragszahler.
finanzwelt: Aber nur eitel Sonnenschein ist doch auch bei der PKV nicht?
Dr. Botermann: Sicher kann und muss noch einiges verbessert werden. Dazu gehört eine größere Transparenz über Leistungsinhalte in den Tarifen genauso wie eine offene Tarifwechselpolitik. Weitere Aufgaben sind eine stabile Beitragsentwicklung mit bezahlbaren Prämien, ein starkes Leistungs- und Qualitätsmanagement und eine hohe Vermittlungsqualität. Allerdings sollte es auch zu einem einheitlichen Wettbewerb zwischen GKV und PKV zu einheitlichen Bedingungen kommen. Dafür wäre eine Diskussion über die Versicherungspflichtgrenze unerlässlich. Das widerspricht keineswegs dem in der sozialen Marktwirtschaft geforderten Ausgleich für sozial Schwache. Im Hinblick auf die GKV muss man sich beispielsweise die Frage stellen, ob es fair und gerecht ist, wenn ein Single mit 3.000 Euro Nettoeinkommen im Monat keine Rücklagen für seine Gesundheitskosten im Alter anspart. Oder dass richtig gut verdienende Kassenmitglieder ihre ganze Familie kostenlos mitversichern dürfen und so einen Mitnahmeeffekt erzielen.
finanzwelt: Was müsste kurzfristig noch am Umlageverfahren korrigiert werden?
Dr. Botermann: Über kapitalgedeckte Ergänzungen könnte man es zumindest ein Stück weit stabilisieren. Im Pflege-Bahr haben wir ja ein Beispiel, wie derlei bestens funktionieren kann. Und es ist dringend erforderlich, die Eigenverantwortung der gesetzlich Krankenversicherten zu stärken. Die Menschen müssen bis ins Detail wissen, was sie ihre Gesundheitsversorgung beim Arzt kostet. Dann würde der ein oder andere sicher sparsamer damit umgehen – oder einfach auch nur gesünder leben.
(Das Interview führte Dr. Hermann Schmidt-Dieburg)