Verlieren die Deutschen ihre Angst vor Aktien?
02.03.2018
Dr. Thomas Heidel, Leitung Research Fidal AG / Foto: © Fidal AG
Die gute Börsenstimmung im letzten Jahr hat den Deutschen anscheinend den Besitz von Aktien wieder schmackhafter gemacht. Laut dem Deutschen Aktieninstitut besitzen 10,06 Mio. Deutsche Aktien oder Aktienfonds, das heißt jeder Sechste (ab 14 Jahre) bzw. 15,7 Prozent. Die Steigerung gegenüber dem Vorjahr liegt bei fast 1,1 Mio. oder 12,1 Prozent. Dies ist der stärkste Zuwachs seit fünf Jahren. Im Hochpunkt 2001 hatte es in Deutschland fast 13 Mio. Aktionäre gegeben. Bis zum Jahr 2010 ist diese Zahl auf 8,4 Mio. gefallen.
Die Anzahl der Direktanleger in Aktien wuchs 2017 auf ca. 4,9 Mio. Dabei machen die Belegschaftsaktionäre (diejenigen, die an „ihrem“ Unternehmen beteiligt sind) einen Anteil von 1,2 Mio. aus. Die restlichen 3,7 Mio. besitzen hingegen Aktien von anderen Unternehmen. Aktienfondsbesitzer gibt es knapp fünf Mio. (im Hoch 2001 hatte die Zahl noch über 7 Mio. gelegen). Ungefähr zwei Mio. Deutsche besitzen wenigstens sogenannte Mischfonds, deren Vermögen über Aktien und Anleihen breit gestreut ist.
Laut dem typischen demografischen Muster beim Aktienbesitz haben überproportional viele Aktionäre und Aktienfondsbesitzer ein relativ hohes Bildungsniveau, ein überdurchschnittliches Haushaltseinkommen, leben im Westen Deutschlands und sind über 50 Jahre alt. Vor allem ältere Menschen setzen auf Aktien, jeder dritte Aktionär ist über 60 Jahre. In der Altersgruppe der 14- bis 39-Jährigen hat nur etwa jeder Zehnte in Aktien investiert. Nicht verwunderlich ist, dass bei Bürgern, die weniger als 2.000 Euro monatlich verdienen, die Aktienquote nur 5,9 Prozent beträgt. Bei einem monatlichen Haushaltsnettoeinkommen über 4.000 Euro hält jeder Dritte Aktien oder Aktienfonds. Zwischen Ost und West existiert daher auch aus Gründen der unterschiedlichen Wirtschaftskraft und den daraus resultieren- den Einkommensunterschieden eine Kluft (Aktienquote Ost 12,9, West 16,9 Prozent).
Negative Aktienerfahrungen schrecken ab
Durch den steilen und langandauernden Rückgang der Aktienkurse am Neuen Markt von März 2000 bis März 2003 und durch den Absturz der vielgepriesenen „Volksaktie“ Telekom wurden viele Kleinanleger nachhaltig verschreckt. Das Verhalten der deutschen Aktienanleger war nach dem Platzen der New-Economy-Blase stark prozyklisch, indem im hohen Umfang bei fallenden Kursen Aktienbestände abgebaut wurden.
Die Aktienabstinenz der Deutschen liegt auch an den mangelhaften Finanzkenntnissen. Jeder zweite Deutsche versteht laut eigenem Bekunden nichts von Kapitalmärkten. Die Wiege des Problems der Deutschen mit Aktien liegt in einer Vernachlässigung des Bereichs finanzieller Bildung in deutschen Schulen. Anfang 2015 löste eine Kritik einer 17-jährigen Schülerin am deutschen Schulsystem in den sozialen Netzwerken eine Welle der Zustimmung aus: „Ich bin fast 18 und hab keine Ahnung von Steuern, Miete oder Versicherungen. Aber ich kann eine Gedichtsanalyse schreiben – in vier Sprachen“.
Kein Wunder also, dass die Deutschen die Chancen und die damit verbundenen Risiken einer Aktienanlage kaum einschätzen können und besonders jüngere Menschen dem Aktienmarkt fernbleiben.
Anzahl der Aktionäre und Aktienfondsbesitzer in Deutschland
Quelle: FIDAL AG, 26.2.18
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