Trendwende noch nicht völlig abgeschlossen
14.08.2024
Dr. Mirko Wormuth, Aktienanalyst im Bereich Research & Portfoliomanagement und Co- Fondsmanager des DJE – Asien bei DJE Kapital AG / Foto: © DJE Kapital AG
Vom Überflieger zur Lame Duck? Das Riesenreich hat eine schwierige Zeit hinter sich. Die jüngsten Meldungen stimmten wieder positiv. Wohin steuert China? finanzwelt sprach im Exklusiv-Interview mit Dr. Mirko Wormuth, Aktienanalyst im Bereich Research & Portfoliomanagement und Co- Fondsmanager des DJE – Asien bei DJE Kapital AG.
finanzwelt: Herr Dr. Wormuth, hat die chinesische Wirtschaft nach einer längeren Schwächeperiode die Trendwende geschafft?
Dr. Mirko Wormuth» Die Erwartungshaltungen für China sind aktuell noch vergleichsweise niedrig – zumindest in den Augen des Marktes ist die Trendwende nicht vollständig abgeschlossen. Die niedrigen Erwartungen könnten allerdings zu Überraschungen führen, wie etwa die stärkste monatliche Überperformance seit Ende 2022 zeigt, die der chinesische Aktienmarkt jüngst verzeichnete. Zwischen Februar und April übertraf der MSCI China Index den MSCI Emerging Markets um 6,2 % und den MSCI AC Asia ex-Japan um 5,3 %. Auch der Shanghai Composite Index stieg von seinem Tiefststand um fast 19 %.
finanzwelt: Welche Gründe machen Sie aktuell für einen Einstieg in den chinesischen Markt aus?
Dr. Wormuth» Trotz der Anstiege im Frühjahr sind die Bewertungen chinesischer Aktien derzeit attraktiv, sprich niedrig. Dennoch verfügen viele Unternehmen über hohe Cash-Reserven, mit denen sie teilweise Aktien zurückkaufen. Durch die Rückkäufe und Dividenden hatten Aktionäre von Alibaba und Tencent in den letzten zwölf Monaten vor Mai eine Rendite von 8 bzw. 5 %. Außerdem will der Staat mehr Geld aus Immobilien, die zwischen 50 und 70 % des Nettovermögens chinesischer Haushalte ausmachen, durch höhere Dividenden, besseren Anlegerschutz und weitere Regulierungsanpassungen in den Kapitalmarkt zu lenken. Zusammen mit der weitestgehenden Abwesenheit internationaler Investoren spricht aktuell mehr für China als dagegen.
finanzwelt: Die chinesische Mittelschicht gilt seit jeher als einer der Wachstumsmotoren. Ist das trotz der Probleme – Beispiel hohe Jugendarbeitslosigkeit – immer noch so?
Dr. Wormuth» Betrachtet man, wie sich das chinesische Verbraucherverhalten seit der Pandemie verändert hat, wird deutlich, dass der chinesische Verbraucher der Mittelschicht quicklebendig ist. Deutlich wird dies etwa durch den Einfluss chinesischer Reisender auf den heimischen Tourismus-Markt, wo Vor-Corona-Werte zu Feiertagen wie Chinese New Year oder der sogenannten Golden Week wieder übertroffen wurden. Auch internationale Reisen sollten mittelfristig wieder anziehen. Die Freizeitgestaltung rückt in den Mittelpunkt der Konjunktur: Themen wie Reisen, Sport und Entertainment erfuhren starken Aufschwung, die Einzelhandelsumsätze für Sport- und Freizeitartikel stiegen im März zum Beispiel um 19 % gegenüber dem Vorjahr, während der gesamte Einzelhandel nur moderat um 3,1 % wuchs.
finanzwelt: In den vergangenen Jahren stand der dortige Immobilienmarkt stark unter Druck. Wie schaut es denn aktuell aus?
Dr. Wormuth» Man kann immer noch sagen, dass der dortige Immobilienmarkt unter Druck ist. Die Situation ist angebotstechnisch ziemlich genau umgekehrt im Vergleich zu den USA oder Europa: Ein riesiger Leerstand trifft auf eine begrenzte Nachfrage – man hat zu viel und zu schnell gebaut, ohne die Nachfrage zu berücksichtigen und hohen Wert auf qualitative Objekte mit langen Lebensdauern zu legen. Leere Geisterstädte sind nicht einladend und werden deshalb auch stellenweise zurückgebaut. An anderen Stellen beschädigten unvollendete Projektentwicklungen das Vertrauen in den Immobilienmarkt. Im April beschloss das Politbüro deshalb, den Wohnungsbestand zu reduzieren und die Qualität neuer Wohnungen zu verbessern, um den Immobilienmarkt zu beflügeln. Da einige Städte ihre Einschränkungen für den Immobilienerwerb gelockert oder gestrichen haben, könnte mittelfristig wieder mehr Nachfrage entstehen.
finanzwelt: Handelsstreitigkeiten mit den USA gepaart mit der Reindustrialisierung in den Vereinigten Staaten. Ist das keine veritable Gefahr für Peking?
Dr. Wormuth» Selbstverständlich ist das ein Risiko, das man beobachten sollte. Solange die US-Wahl nicht stattgefunden hat, kann man schwer absehen, wie restriktiv die Importpolitik der USA werden wird. In einer globalisierten Welt mit stark zergliederten Wertschöpfungsketten ist allerdings nicht davon auszugehen, dass sich die USA vollständig abschotten werden. Egal, welche Maßnahmen in den USA umgesetzt werden, China wird weiterhin einen hohen Stellenwert für die Weltwirtschaft haben. Mit dem Dritten Plenum, das im Juli stattfindet und bei dem das Zentralkomitee Änderungen der Wirtschaftspolitik beschließt, könnte China unabhängig von den USA deutlichen Aufschwung erfahren – zumindest war das historisch bisher so. Nach dem Dritten Plenum von 2013 stieg der CSI 300 Index innerhalb von 18 Monaten um mehr als 120 %. Nach dem Dritten Plenum von 2018 stieg der CSI 300 um mehr als 50 % in den folgenden drei Jahren.