Plattformen und KI als Gamechanger?

22.11.2024

Prof. Dr. Gottfried Koch, Institut für Informatik Universität Leipzig / Foto: © Institut für Informatik Universität Leipzig

Zwei technologische Entwicklungen könnten in der Finanz- und Versicherungswirtschaft die Basis eines neuen Denkens werden: Digitale Plattformen (DP) und Large Language Modelle (LLM) haben unseren Alltag in einem Ausmaß durchdrungen, dass sich die neue Sichtweise der Plattformökonomie entwickeln konnte. Dieser Beitrag entstand in Zusammenarbeit mit Marco Peisker (Standortleiter Leipzig, adesso SE) und Gabriel Janke (Werkstudent, adesso SE) exklusiv für finanzwelt.

Unter „Plattformökonomie“ wird die Gesamtheit des wirtschaftlichen Handelns verstanden, bei der sowohl das Angebot als auch die Nachfrage unterschiedlicher Akteure über DP zusammengebracht wird. DP fungieren dabei als „Intermediäre, stellen die erforderliche Infrastruktur bereit und ermöglichen unter vorgegebenen Regeln wertschaffende Interaktionen zwischen mindestens zwei Akteuren“ (Quelle: „Digitale Plattformen“, R. Obermaier, P. Morsch). Der Kern des Versicherungsgeschäfts, die Risikotransformation, wird bislang von plattformbasierten Angeboten nicht oder nur marginal tangiert. Die praktische Umsetzung eines bisher nur theoretisch entwickelten „Referenzmodells für ein plattformbasiertes Äquivalent zum traditionellen Prinzip der Versicherung“, um das es hier geht, könnte das Potenzial haben, „das Geschäftsmodell der Assekuranz grundlegend und nachhaltig zu verändern“ („Ein Referenzmodell für ein plattformbasiertes Äquivalent zum traditionellen Prinzip der Versicherung“, G. Koch, M. Leuker, M. Peisker). LLMs sind ein Teil von neuen KIbasierten Instrumenten. Viele Zeitgenossen betrachten diese Werkzeuge als Quantensprung im Hinblick auf eine neue Sicht auf unsere Welt, vergleichbar mit der Erfindung der Dampfmaschine, der Nutzung der Elektrizität oder des World Wide Web. KI hat das Zeug, sich in diese Basistechnologien einzureihen. Ein LLM ist die Grundlage für KI-getriebene Formen der Kommunikation. Im Unterschied zu regelbasierten Chatbots kann unter Einbezug der Ansätze generativer KI auf eine Vielzahl unterschiedlicher Benutzeranfragen flexibel reagiert werden. Eine Beschränkung auf vordefinierte Dialoge entfällt gänzlich, so dass die Generierung kontextbezogener Antworten möglich ist. Durch die Erzeugung menschenähnlicher Antworten und die Verwendung einer natürlicheren und weniger vorhersehbare Sprache wird das Nutzererlebnis einer Mensch-Mensch-Interaktion simuliert. Durch kontinuierliches Lernen aus neuen Daten und Konversationen erfolgt eine stete Anpassung an sich wechselnde Benutzerbedürfnisse, was wiederum zu einer kontinuierlichen Optimierung der Antworten führt. Eine automatische Skalierung auf eine große Anzahl von Benutzern und Anfragen wird somit ohne direkte Eingriffe möglich. LLMs sind mehrsprachig, was eine Kommunikation auf supranationaler Ebene ermöglicht.

Ausgehend von dem individuellen, einzigartigen Risikoprofil einer natürlichen oder juristischen Person, unterstützt das LLM die widerspruchsfreie Formulierung subjektiver Bedürfnisse im Hinblick auf die Abgabe eines oder einem ganzen Bündel konkreter Risiken. Diese Risiken werden verzögerungsfrei über eine Plattform einem oder mehreren Risikonehmer (RN) angeboten. Das LLM moderiert anschließend den unter Umständen vielstufigen Kommunikationsprozess zwischen RG und RN mit dem Ziel eine eindeutige und widerspruchsfreie vertragliche Vereinbarung zur Übernahme des infrage stehenden Risikos zu finden. Die Übernahme eines Risikos ist nicht garantiert. Sie ist Ergebnis eines Verhandlungsprozesses.

Welche neuen Optionen ergeben sich?

  • Neue Blickrichtung der „Produktdefinition” statt Standardprodukte vom Versicherungsunternehmen (VU). Neu: Vom RG erstellte Risikodefinitionen
  • Liberalisierung des Marktes statt Risikotransformation innerhalb von VU. Neu: Risikotransformation innerhalb eines liberalisierten Marktes
  • Neue Denkweise statt von VU zum VN. Neu: Vom Risikogeber (RG) zum Risikonehmer (RN)