Pauschale Schweigepflichtentbindung in der Berufsunfähigkeitsversicherung

25.01.2024

Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke. Foto: Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte

Fehlende Einwilligung des Versicherten

Es habe zudem an einer wirksamen Einwilligung des Versicherungsnehmers gefehlt.  Nach Ansicht der Kammer berechtige nicht jede vom Betroffenen gegebene Einwilligung den Versicherer, Gesundheitsdaten zu erheben. Dies könne nur eine freiwillig gegebene Einwilligung. Freiwilligkeit bedeute in diesem Zusammenhang nicht nur die Abwesenheit von Zwang, sondern setze vielmehr voraus, dass dem Versicherten vom Versicherer die Möglichkeit gegeben wird, zu erkennen, wie und in welchem Umfang er bei der Datenerhebung mitwirken muss. Nur wer um seine Rechte und Pflichten weiß bzw. wissen kann, könne sich dieser freiwillig begeben.

In einem Verfahren vor dem Oberlandesgericht Stuttgart, bei dem es insbesondere auch um die Problematik der Datenerhebung ging, hatte das Gericht ausgeführt, dass der genaue Umfang der Datenerhebung nicht erkennbar gewesen sei  (OLG Stuttgart, Urt. v. 21.12.2017 – 7 U 101/17). Dem betroffenen Versicherungsnehmer müsse die Notwendigkeit der Datenerhebung erläutert werden. Es müsse erkennbar sein, welche Informationen der Versicherer einholen will. Nur so könne der Versicherte der Datenerhebung zustimmen oder ihr widersprechen (siehe hierzu die nachfolgende Urteilsbesprechung: „Verwertungsverbot von Kundendaten bei Verstoß gegen § 213 VVG?“)

Hinweispflichten des Versicherers?

Weiter führt die Kammer aus, dass der BGH daher verlange, dass der Versicherer den Versicherungsnehmer, der regelmäßig die Grenzen seiner Mitwirkungspflicht nicht kennen werde, Eingang seiner Datenerhebung auf diverse Punkte hinweise (siehe auch Schweigepflichtentbindung in der Berufsunfähigkeitsversicherung (BGH)).

Der Versicherte sei zunächst auf sein Recht zur Selbstbeschaffung hinzuweisen. Es handele sich dabei um die generelle Möglichkeit des Betroffenen, dem Versicherer die Datenerhebung bei Dritten gänzlich zu verwehren, und zwar selbst dann, wenn die Daten ohne Zweifel für die Leistungsprüfung notwendig sein sollten. Ein solcher Hinweis fehle im hiesigen Fall.

Ferner sei nach Auffassung des LG Berlin darauf hinzuweisen, dass auch in dem Fall, in dem sich der Versicherungsnehmer nicht für eine Selbstbeschaffung entscheidet, er dem Versicherer bei der Datenerhebung nicht freie Hand lassen, sondern nur an einer gestuften Datenerhebung mitwirken müsse. Dazu führt die Kammer aus, dass der Versicherte also darauf hinzuweisen sei, dass sich die Erhebungen des Versicherers zunächst auf solche Daten beschränken müssen, die ihm lediglich einen Überblick verschaffen können, und dass er erst im Anschluss besonders sensible Daten (z. B. Diagnosen, Behandlungsweisen) preisgeben müsse, sollte der Versicherer sein Auskunftsverlangen weiter konkretisieren können. Außerdem sei er darauf hinzuweisen, dass es ihm freisteht, dem Versicherer sofort eine umfassende Datenerhebung zu ermöglichen, so die Kammer. Solche Hinweise liegen in diesem Fall nicht vor.

Mangels entsprechender Hinweise könne damit dahinstehen, dass die Hinweise so formuliert sein müssen, dass sie ihre Informationsfunktion erfüllen können, insbesondere ihrer Bedeutung entsprechend gestaltet und platziert werden. Irgendeine dem genügende Formulierung und Gestaltung finde sich dort ebenfalls nicht, so die Kammer.

Abschließend führte das Landgericht aus, dass der Versicherer, sofern der Versicherte ihm zur Leistungsprüfung bereits Angaben gemacht und Unterlagen eingereicht hat, im Rahmen einer sekundären Darlegungslast aufzeigen müsse, welche weiteren Informationen er zur sachgerechten Prüfung seiner Leistungspflicht noch bedarf, da sich diese Umstände typischerweise der Kenntnis des Versicherungsnehmers entziehen. Das sei hier aber nicht geschehen. Der Versicherer habe solche Umstände nicht aufzeigen können.

Hinweis für die Praxis

Diese Entscheidung des LG Berlin kann im Ergebnis überzeugen. Einmal mehr hat ein Gericht rechtlich zutreffend herausgearbeitet, dass die pauschalen Schweigepflichtentbindungen der Berufsunfähigkeitsversicherung unzulässig sind. Doch mit Sicherheit werden Versicherungen, die diese pauschalen Entbindungen von der Schweigepflicht mit dem Leistungsantrag – zum Beispiel bei Berufsunfähigkeit – ohnehin häufig einholen, hiervon weiterhin Gebrauch machen. Versicherungsnehmern und Vermittlern ist daher abzuraten, von Versicherern vorgelegte pauschale Schweigepflichtentbindungserklärungen einfach so zu unterzeichnen. Es empfiehlt sich daher frühzeitig anwaltliche Unterstützung im Leistungsfall einzuholen, um die Vereitelung von vertraglichen Ansprüchen zu verhindern.

Kommt es dennoch zu einer Leistungseinstellung eines Berufsunfähigkeitsversicherers, ist es sinnvoll auch diese Leistungsablehnung anwaltlich überprüfen zu lassen. Vor diesem Hintergrund ist es zweckmäßig sich mit dem Ablauf eines typischen BU-Verfahrens mit einer Berufsunfähigkeitsversicherung vertraut zu machen.

Gastbeitrag von Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke, Partner der Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte.