Mehr Licht oder mehr Schatten?

05.09.2023

(v. l. n. r. Ivan Domjanic, Uwe Eilers, Peer Reichelt und Ombretta Signori)

Ivan Domjanic, Kapitalmarktstratege für die DACH-Region, M&G Investments
Uwe Eilers, Vorstand der FV Frankfurter Vermögen AG
Peer Reichelt, Vorstand der Netfonds AG
Ombretta Signori, Leiterin der makroökonomischen Forschung bei Ofi Invest Asset Management    

Nach einem Horrorjahr 2022 ist das zurückliegende 1. Halbjahr gut verlaufen. Erstaunlich positiv. Nun stellt sich die Frage, wohin die Reise geht. Setzen die Leitindizes dieser Welt ihre Aufwärtsbewegung fort? Woher könnten neue Impulse kommen? Welche Regionen und Sektoren stehen in den kommenden Monaten im Fokus? Fest steht, es bleibt hoffnungsvoll und abwechslungsreich. Investoren sollten sich dabei vor Augen führen, dass Rücksetzer auch Chancen für Zukäufe bieten. Und generell sollten Sie als Berater sowieso den Langfristcharakter jedes Investments im Gespräch hervorheben. Eine finanzwelt-Expertenrunde befasste sich Mitte Juli 2023 mit den Fragen der Zeit.

finanzwelt: Die Börsen sind in diesem Jahr gut gelaufen. Angesichts der Krisen, schwächelnder Konjunktur und Inflation, welche Erwartungen haben Sie für die Entwicklung der internationalen Aktienmärkte in den kommenden Monaten?

Ivan Domjanic» Die Aktienmärkte haben sich in der ersten Jahreshälfte überraschend stark entwickelt. Ein Treiber dürfte die sinkende Inflation gewesen sein, die wiederum ein baldiges Ende der Zinserhöhungen erwarten lässt. Hinzu kam dann die Aufregung rund um das Thema Künstliche Intelligenz, welche die Kurse einiger technologielastigen Titel regelrecht befeuert hat. Dem stehen andererseits die konjunkturellen Sorgen, die nach wie vor bestehen, entgegen. Es ist also nicht gerade einfach, derzeit eine eindeutige Einschätzung zu den Aktienmärkten abzugeben.

Uwe Eilers» Die Erwartungen der meisten Anleger sind aufgrund der diversen Krisen und Konjunktur- und Zinssteigerungsängsten von starker Vorsicht geprägt. Das spiegelt die unterdurchschnittlichen Aktienquoten der meisten Investoren wider. Somit scheinen die bekannten Befürchtungen und Ängste in den aktuellen Kursen enthalten zu sein. Sofern sich die Dinge besser entwickeln als allgemein erwartet, müssen die vorsichtigen Investoren ihre Aktienquoten entsprechend anpassen. Dies würde höchstwahrscheinlich steigende Nachfrage nach Aktien und damit steigende Kurse bedeuten.

finanzwelt: Lassen Sie uns mal einen Blick auf die einzelnen Regionen bzw. Segmente werfen. In den USA standen die Wachstumsaktien weit oben auf der Liste. Sind die Vereinigten Staaten „The Place to be?“

Ombretta Signori» Der US-amerikanische S&P 500 Index stieg im Laufe des Monats um mehr als 5 % und seit Oktober vergangenen Jahres um mehr als 25 %. Die Juni-Performance scheint im Vergleich zu den Vormonaten ausgewogener zu sein, mit einer geringeren Konzentration auf die Technologiesektoren. Die jüngsten Indikatoren könnten auch zeigen, dass die Federal Reserve einen guten Mittelweg gefunden hat. Einerseits verlangsamen sich die Inflationsindikatoren allmählich, was beweist, dass die Politik der Fed funktioniert. Andererseits ist das Wirtschaftswachstum noch nicht unter das Potenzial gesunken. Mit einem KGV von 20 sind US-Aktien aus unserer Sicht teuer.

Domjanic» Nüchtern betrachtet erscheinen US-Aktien und vor allem die Wachstumstitel gerade nach den jüngsten Kurszuwächsen insgesamt überteuert im Vergleich zu anderen Märkten. In den vergangenen Jahren wurde zwar ein gewisser Bewertungsaufschlag durch die höhere Qualität und das relativ stärkere Gewinnwachstum von US-Aktien begründet. Die jüngsten Verwerfungen bei den US-Regionalbanken und das relativ gedämpfte Gewinnwachstum machen einen so hohen Bewertungsaufschlag wie wir ihn aktuell sehen aber immer weniger nachvollziehbar, insbesondere im Vergleich zu Europa und Japan. Das heißt jedoch nicht, dass in den USA keine attraktiven Aktien zu finden wären. Schließlich haben sich sehr viele Titel in den USA deutlich schwächer entwickelt als der von den Mega-Caps dominierte S&P 500 Index. Gerade jetzt, wo die Bandbreite an unterschiedlichen Wertentwicklungen und Bewertungen so groß ist, lohnt sich eine gute Titelselektion.

finanzwelt: Wie bewerten Sie aktuell das Chance-Risiko-Profil von europäischen Aktien?

Eilers» Viele europäische Aktien haben sich bereits deutlich nach oben entwickelt. Trotzdem ist die fundamentale Bewertung in vielen Fällen noch moderat, sofern die Konjunktur insgesamt recht stabil bleibt und nicht eine tiefe Rezession kommt. Viel ist dabei allerdings auch abhängig davon, ob die insgesamt recht lahme Politik die unternehmerischen Rahmenbedingungen verbessert. Ob hohe Subventionen beispielsweise für neue Chip-Fabriken die Investitionstätigkeit insgesamt beflügelt, ist abzuwarten. Langfristig könnte es sich allerdings durchaus volkswirtschaftlich lohnen. Damit einhergehend könnten diverse Branchen mitgezogen werden und weitere Kursanstiege möglich sein.

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