Mehr Licht oder mehr Schatten?

05.09.2023

(v. l. n. r. Ivan Domjanic, Uwe Eilers, Peer Reichelt und Ombretta Signori)

finanzwelt: China als große globale Wachstumslokomotive stand lange im Zentrum. Nun ist auch dort Sand im Getriebe. Wie schätzen Sie die aktuelle Lage in China hinsichtlich Wachstumsperspektiven und Bewertung ein?

Signori» Der Aufschwung in China ist langsamer und weniger nachhaltig als erwartet. Die Wirtschaftsindikatoren deuten darauf hin, dass sich das Wachstum nach einem guten 1. Quartal im 2. Quartal auf etwa 1 % halbieren wird. Alle Wachstumsmotoren sind ins Stocken geraten: Der Verbrauch bleibt deutlich unter dem Vorkrisenniveau. Die Investitionen verlangsamen sich und der Außenhandel leidet unter dem weltweiten Abschwung. Die chinesischen Aktien haben sich seit Jahresbeginn trotz der wirtschaftlichen Erholung stabil entwickelt. Angesichts der angespannten geopolitischen Lage mit den USA ist es unwahrscheinlich, dass China in den kommenden Monaten eine überdurchschnittliche Performance erzielt. Die einzige gute Nachricht ist: Diese Realität spiegelt sich in den Aktienkursen wider. Die Bewertungen sind insgesamt sehr vernünftig, und es wird erwartet, dass die Unternehmensgewinne weiter steigen werden. Internationale Anleger sind aktuell sehr vorsichtig und der Markt wäre sehr empfänglich für die kleinste gute Nachricht.

finanzwelt: Jenseits der regionalen Schwerpunkte, welche Branchen/Sektoren haben Sie vermehrt im Blick?

Domjanic» Sektoren, die derzeit attraktiv erscheinen sind beispielsweise der Energie- und Gesundheitssektor. Innerhalb des Technologiesektors sehen wir bei einigen Halbleiterunternehmen langfristig Chancen. Man kann das Ganze auch thematisch betrachten. In dem Fall könnten Infrastrukturunternehmen wieder interessant werden, nachdem diese im laufenden Jahr bislang hinter dem Gesamtmarkt zurückgeblieben sind. Hierzu zählen beispielsweise Versorger, die für die grüne Energiewende unverzichtbar sein werden. Generell sind Unternehmen interessant, die an einer Verringerung des CO2 Ausstoßes arbeiten. Natürlich sind Themen wie Künstliche Intelligenz ebenfalls spannend für uns. Aber man sollte hier die Bewertungen nicht außer Acht lassen.

Peer Reichelt» Wichtig wird zukünftig weiterhin der Technologiebereich sein und hier insbesondere das Thema KI. Allerdings gibt es aktuell ‚abgestrafte‘ Branchen wie die Bereiche Pharma oder auch Healthcare, die ebenso einen langfristigen Wachstumstrend aufweisen, aber im Moment nicht im Fokus der Investoren stehen.

finanzwelt: Kaum zu glauben, aber Anleihen sind durch die Zinswende wieder attraktiv geworden. Bonds 2.0. Welche Anleihesegmente erachten Sie als chancenreich?

Signori» Besonders positiv sehen wir die Anlageklasse der Euro-Anleihen insgesamt: die Geldmarktpapiere und Investment-Grade-Unternehmensanleihen sowie Hochzinsanleihen, die unserer Meinung nach immer noch besonders attraktiv sind und eine Übergewichtung in einer Allokation verdienen. Die Kategorie der Investment-Grade-Anleihen mit ihren längeren Laufzeiten kann von einem Ausgleichsmechanismus zwischen Zinssätzen und Kreditspreads profitieren. Die unsystematischen Risiken einer Einzelanlage im Portfolio müssen jedoch überwacht werden, ebenso wie der Immobiliensektor, der im Allgemeinen als erster von den Auswirkungen steigender Zinsen betroffen ist.

Domjanic» Wir präferieren derzeit tendenziell InvestmentGrade-Unternehmensanleihen, da diese Unternehmen weniger Probleme haben dürften, sich bei höheren Zinsen zu refinanzieren als High-Yield-Emittenten. Auch eine Rezession sollten sie gut überstehen. Zwar sehen wir auch Chancen bei bestimmten Hochzinsanleihen, allerdings eher bei den solideren Titeln, die sich nahe an der Grenze zum Investment-Grade-Bereich befinden. Innerhalb der Unternehmensanleihen finden wir Finanztitel in Europa aussichtsreich, da diese nicht von der EZB aufgekauft und somit nicht verzerrt wurden. Damit haben diese Anleihen zum einen attraktivere Ablaufrenditen als Industrieanleihen und sind außerdem weniger betroffen von der Rückführung des Aufkaufprogramms der EZB.

finanzwelt: Herr Eilers, Herr Reichelt, welche Investmentlösungen sind derzeit sehr nachgefragt?

Eilers» Multi-Asset-Fonds mit guten Performancedaten und moderaten Schwankungen werden weiterhin nachgefragt. Neuerdings kommen aufgrund des Zinsanstiegs auch Anleihen, bzw. Anleihefonds verstärkt in den Fokus.

Reichelt» Bedingt durch die wieder existierenden Zinsen erleben Rentenfonds ein starkes Revival. Auch Geldmarktfonds sind wieder immer stärker nachgefragt. Bei der Aktienfonds Anlage sind es insbesondere Fonds, die in Hochtechnologie und KI investieren.

finanzwelt: Anleger waren in der Vergangenheit oft von Dividenden und entsprechenden Fonds angetan. Mit „Ausschüttungen“ kann man eben punkten. Wie sehen Sie hier die Perspektiven, Herr Reichelt?

Reichelt» Dividendenorientierte Investoren sollten überwiegend darauf achten, nicht auf die Aktien mit der höchsten Dividendenrendite zu investieren, sondern ganz klar die langfristige Wachstumsprognose der Unternehmen im Auge zu behalten. Die wichtigste Kennzahl ist eher das langfristige Wachstum der Dividenden bei einer gleichbleibenden Ausschüttungsquote. Am besten sollte man in die Qualitätsfonds aus diesem Bereich investieren. (ah)