Können Millionen Kreditverträge widerrufen werden?
29.06.2020
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Es bleibt daher abzuwarten, ob der zuständige 11. Zivilsenat des BGH eine entsprechende Reduktion der betroffenen Normen auch im Hinblick auf die jüngste EuGHEntscheidung prüfen wird. Dann käme es für alle von der Richtlinie erfassten Verbraucherkreditverträge – also etwa nicht grundpfandrechtlich gesicherte Darlehen mit einem Gesamtkreditbetrag zwischen 200 und 75.000 Euro – zu einer Reduktion der betroffenen Normen mit der Maßgabe, dass das gesetzliche Muster für diese Verträge nicht gilt und auch keine Schutzwirkung entfalten dürfte. Konsequenterweise müsste auch für solche Kreditverträge eine Reduktion zu bejahen sein, die nicht von der Richtlinie erfasst sind, wenn – wie vorliegend der deutsche Gesetzgeber – von der Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, die in der Richtlinie vorgesehenen Bestimmungen auf nicht in den Geltungsbereich der Richtlinie fallende Bereiche anzuwenden. Ferner ist der Zuständigkeitsstreit zwischen dem EuGH und dem BGH möglicherweise noch nicht abschließend beendet. Denkbar wäre, dass der EuGH im Nachhinein seine Zuständigkeit nochmals klarstellt und die Verbraucherkreditrichtlinie auch auf Immobiliardarlehensverträge in Deutschland anwendet. So hat der EuGH auch im Hinblick auf das jüngste Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu EZB-Anleihekäufen vom 05. Mai 2020 (Az. 2 BvR 859/15 u.a.) auf seine ausschließliche Zuständigkeit gepocht (vgl. Pressemitteilung des EuGH Nr. 58/20).
Welche Verträge sind betroffen?
Die Entscheidung des EuGH führt damit im Ergebnis nicht zu mehr Rechtssicherheit. Mit den beiden Beschlüssen des BGH wurde zumindest vorerst höchstrichterlich entschieden, dass alle diejenigen Darlehensverträge, welche nicht unter die Verbraucherkreditrichtlinie fallen oder das gesetzliche Muster der Widerrufsbelehrung 1:1 übernommen haben, von der EuGH-Entscheidung nicht betroffen sein dürften. Damit wurden die Immobiliardarlehen vor den weitreichenden Folgen der Entscheidung gerettet. Bei allen anderen Darlehensverträgen müssen die deutschen Gerichte die Entscheidung des EuGH im Hinblick auf die Frage, ob die vom Kreditinstitut gewählte Belehrung (auch) mit der Verbraucherkreditlinie vereinbar ist, künftig berücksichtigen. Betroffen sind demnach insbesondere nicht grundpfandrechtlich gesicherte Verbraucherdarlehen mit einem Gesamtkreditbetrag zwischen 200 und 75.000 Euro, sofern die Bank vom gesetzlichen Muster der Widerrufsbelehrung abgewichen ist. Hier könnte sich der Verbraucher im Einzelfall mit Hilfe des ‚Widerrufsjokers‘ nunmehr leichter und ohne Vorfälligkeitsentschädigung von einem Kredit befreien. Viele Anwälte sehen daher auch unter Berücksichtigung der jüngsten BGH-Entscheidungen nach wie vor mehrere Millionen Autokredit- und Leasingverträge auf dem erneuten Prüfstand.
Martin Kühler Rechtsanwalt, TILP Rechtsanwaltsgesellschaft mbH