Im Dauerumbruch mit hoher Taktzahl
24.04.2023
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finanzwelt: Einige Produkte fliegen auch schon wegen zu
niedriger Courtagen aus dem Fokus vieler Vermittler, wie
z. B. Kfz. Ist da eine Abschaffung oder zu große Deckelung
von Provisionen nicht kontraproduktiv? Gerade in der Altersvorsorge werden sich doch dann große Versorgungslücken in Deutschland auftun, oder?
Prof. Zeidler» Jetzt muss ich erst einmal die Fragenkomplexe sortieren. Denken Sie daran, ich bin bekennender Ostfriese. Lassen Sie mich mit dem Fokus der Vermittler beginnen. Ja, es wird Sparten geben, die sind mehr im Fokus
eines Vermittlers als andere, aber vergessen Sie bitte nicht
den gesetzlichen oder moralischen Auftrag an Vermittler zu
einer gesamthaften Beratung. Hier komme ich auf die letzte
Frage zurück. Dazu ein Beispiel: Oft wird in unserer Branche, wenn ein kleines Verkaufserlebnis beschrieben werden
soll, das Mopedschild herangezogen. Eine Mopedversicherung frisst, wenn sich ein Vermittler darum kümmert, Zeit.
Jetzt habe ich einen Versicherer kennengelernt, der den
Verkauf dieser Versicherung voll automatisiert hat mit einem
24/7-Service. Genau so sollte es sein. Gut bediente Kunden
und ein für wichtigere Beratungen mit mehr Zeit ausgestattete Vermittler. Bei Ihrer Frage, Herr von Stockhausen, nach der
Abschaffung oder Deckelung der Courtagen, treffen Sie bei
mir einen freiliegenden Nerv. Für dieses Ansinnen habe ich
überhaupt kein Verständnis. Ausländische Beispiele zeigen,
dass die Beratungsleistung für die, die es besonders benötigen, verringert oder eingestellt wird. Das ist eine sozialpolitische Katastrophe. Dann wird auch die Existenzgrundlage
eines wichtigen Beratungsberufs in Frage gestellt, es hat die
Wirkung eines Berufsverbotes. Die Diskussion findet statt vor
dem Hintergrund, dass das durchschnittliche Einkommen im
Vertrieb – so zeigen Studien – völlig im Rahmen einer normalen Gehaltsstruktur in der Gesellschaft ist, es also keine
exorbitante Höhe gibt. Das bei Dritten außerhalb der Branche häufig anzutreffende Bild der ausufernden Einkommen
bei Vermittlern rührt von durch die Presse gern aufgegriffenen Einzelfällen, die immer seltener werden, wie überhaupt
die Qualität des Vertriebes stetig steigt. Das war jetzt etwas
lang, haben Sie noch was?
finanzwelt: Klar! Andererseits hat der Provisionsdeckel in
der KV in der Kombination mit verlängertem Storno die
elende Umdeckerei beendet und dem Markt insgesamt
sehr gutgetan. Wäre eine Anpassung vielleicht hilfreich,
um die leidige Diskussion diesbezüglich zu beenden?
Prof. Zeidler» Ja, Diskussionen, die möglichen Unzulänglichkeiten einer Betreuung zu beseitigen helfen, sind natürlich
willkommen.
finanzwelt: Kommen wir zu einem meiner Lieblingsthemen. ESG. Was macht eine Versicherung eigentlich nachhaltig? Sprich worauf müssen Vertrieb und Kunde achten?
Prof. Zeidler» Was ist denn hier die Versicherung? Die Unternehmung oder das Produkt? Im Grunde ist beides betroffen.
Aber erst einmal allgemein: Die Branche widmet sich – nicht
nur durch die Verpflichtungen aus den Verordnungen – sehr
diesem Thema. Es sind viele Initiativen zu diesem Thema feststellbar, zum Teil mit großem Einsatz. Der Versicherer kann all
das tun, was sein Unternehmen bei E und bei S und bei G akzeptabel macht und das wird erkennbar auch betrieben. Die
Produkte müssen auf ihre ESG-Konformität hin geprüft und
in die Kategorien der unterschiedlichen Umweltverträglichkeit einsortiert werden. Dabei sollten keine Selbstauskünfte
zugrunde gelegt werden, da diese immer zu falschen Einschätzungen führen. Also Zertifizierungen aus extern erhältlichen und damit überprüfbaren Quellen, wie es Zielke Research bietet. Der Vertrieb muss ja seit Herbst letzten Jahres
seine Kunden bezüglich deren Nachhaltigkeitsneigung befragen und die adäquaten Produkte empfehlen. Wie macht
er das? Am besten ist dort ein standardisiertes Verfahren
anzuwenden, das vermeidet, dass es zu Diskussionen (z. B.
über Fotovoltaik, Frauenquote oder Atomkraft) zwischen potenziellem Kunden und dem Verkäufer kommt, da das vom
eigentlichen Verkauf ablenkt – und diesen bei unterschiedlichen Einschätzungen der Situation sogar verhindern kann.
Ein solches Verfahren ist beispielsweise eine Abfrage nach
einer DIN-Norm, wie sie gerade entwickelt wurde. Darüber
hinaus sollte sich der Verkäufer einem Zertifizierer anschließen, da er ohne Hilfe nicht in der Lage ist, zu bewerten, ob
ein Produkt nachhaltig ist und in welcher Klasse. Er gerate
da als Makler in eine nicht zu unterschätzende Haftungslage.
finanzwelt: Wie wichtig ist das Thema beim Versicherer,
wie wichtig beim Makler und wie wichtig bei Kunden? Ist
da nicht ein Missverhältnis?
Prof. Zeidler» Sie greifen vor, Sie Ungeduldiger. Meiner Einschätzung nach ist bei vielen Versicherern dieses Thema sehr
weit oben auf ihrer Entscheidungsagenda. Für den Makler
– danach haben Sie gefragt – ist es ein weiterer Baustein der
Analyseerfassung und der notwendigen Dokumentation mit
der entsprechenden Zeitinvestition. Aber ihm kommt das
Mindset der sich ändernden Kundensicht entgegen. Den
Menschen ist die Frage der Nachhaltigkeit zunehmend wichtig und sie möchten zu diesem Thema bei ihren Entscheidungen einen positiven Beitrag leisten. Zugegeben, das
gilt noch nicht für alle Menschen, aber es werden mehr. Der
Lackmustest besteht darin, dass der potenzielle Kunde gegebenenfalls auch eine Renditeeinschränkung hinzunehmen
bereit sein sollte, wenn er ESG-zertifizierte Produkte erwirbt.
Im Moment gibt es auch noch nicht genügend nach Artikel
8 und 9 zertifizierte Produkte, um jeden möglichen Bedarf
befriedigen zu können, aber auch die werden stetig mehr.
finanzwelt: Wie entgegnen wir Greenwashing und Greenmarketing glaubwürdig?
Prof. Zeidler» Das ist schwer zu beantworten. Es wird natürlich solche Auswüchse geben. Wieso gerade hier nicht.
Gefordert ist eine Aufmerksamkeit. Die kann ein Einzelner
nicht leisten, das muss geleistet werden von Instituten oder
ähnlichen, die das bewerten können. Wäre das etwas für die
Marktwächter? (lvs)