Im Dauerumbruch mit hoher Taktzahl

24.04.2023

Foto: © Mukhlesur – unsplash.com

finanzwelt: Einige Produkte fliegen auch schon wegen zu niedriger Courtagen aus dem Fokus vieler Vermittler, wie z. B. Kfz. Ist da eine Abschaffung oder zu große Deckelung von Provisionen nicht kontraproduktiv? Gerade in der Altersvorsorge werden sich doch dann große Versorgungslücken in Deutschland auftun, oder?
Prof. Zeidler»
Jetzt muss ich erst einmal die Fragenkomplexe sortieren. Denken Sie daran, ich bin bekennender Ostfriese. Lassen Sie mich mit dem Fokus der Vermittler beginnen. Ja, es wird Sparten geben, die sind mehr im Fokus eines Vermittlers als andere, aber vergessen Sie bitte nicht den gesetzlichen oder moralischen Auftrag an Vermittler zu einer gesamthaften Beratung. Hier komme ich auf die letzte Frage zurück. Dazu ein Beispiel: Oft wird in unserer Branche, wenn ein kleines Verkaufserlebnis beschrieben werden soll, das Mopedschild herangezogen. Eine Mopedversicherung frisst, wenn sich ein Vermittler darum kümmert, Zeit. Jetzt habe ich einen Versicherer kennengelernt, der den Verkauf dieser Versicherung voll automatisiert hat mit einem 24/7-Service. Genau so sollte es sein. Gut bediente Kunden und ein für wichtigere Beratungen mit mehr Zeit ausgestattete Vermittler. Bei Ihrer Frage, Herr von Stockhausen, nach der Abschaffung oder Deckelung der Courtagen, treffen Sie bei mir einen freiliegenden Nerv. Für dieses Ansinnen habe ich überhaupt kein Verständnis. Ausländische Beispiele zeigen, dass die Beratungsleistung für die, die es besonders benötigen, verringert oder eingestellt wird. Das ist eine sozialpolitische Katastrophe. Dann wird auch die Existenzgrundlage eines wichtigen Beratungsberufs in Frage gestellt, es hat die Wirkung eines Berufsverbotes. Die Diskussion findet statt vor dem Hintergrund, dass das durchschnittliche Einkommen im Vertrieb – so zeigen Studien – völlig im Rahmen einer normalen Gehaltsstruktur in der Gesellschaft ist, es also keine exorbitante Höhe gibt. Das bei Dritten außerhalb der Branche häufig anzutreffende Bild der ausufernden Einkommen bei Vermittlern rührt von durch die Presse gern aufgegriffenen Einzelfällen, die immer seltener werden, wie überhaupt die Qualität des Vertriebes stetig steigt. Das war jetzt etwas lang, haben Sie noch was?

finanzwelt: Klar! Andererseits hat der Provisionsdeckel in der KV in der Kombination mit verlängertem Storno die elende Umdeckerei beendet und dem Markt insgesamt sehr gutgetan. Wäre eine Anpassung vielleicht hilfreich, um die leidige Diskussion diesbezüglich zu beenden?
Prof. Zeidler»
Ja, Diskussionen, die möglichen Unzulänglichkeiten einer Betreuung zu beseitigen helfen, sind natürlich willkommen.

finanzwelt: Kommen wir zu einem meiner Lieblingsthemen. ESG. Was macht eine Versicherung eigentlich nachhaltig? Sprich worauf müssen Vertrieb und Kunde achten?
Prof. Zeidler» Was ist denn hier die Versicherung? Die Unternehmung oder das Produkt? Im Grunde ist beides betroffen. Aber erst einmal allgemein: Die Branche widmet sich – nicht nur durch die Verpflichtungen aus den Verordnungen – sehr diesem Thema. Es sind viele Initiativen zu diesem Thema feststellbar, zum Teil mit großem Einsatz. Der Versicherer kann all das tun, was sein Unternehmen bei E und bei S und bei G akzeptabel macht und das wird erkennbar auch betrieben. Die Produkte müssen auf ihre ESG-Konformität hin geprüft und in die Kategorien der unterschiedlichen Umweltverträglichkeit einsortiert werden. Dabei sollten keine Selbstauskünfte zugrunde gelegt werden, da diese immer zu falschen Einschätzungen führen. Also Zertifizierungen aus extern erhältlichen und damit überprüfbaren Quellen, wie es Zielke Research bietet. Der Vertrieb muss ja seit Herbst letzten Jahres seine Kunden bezüglich deren Nachhaltigkeitsneigung befragen und die adäquaten Produkte empfehlen. Wie macht er das? Am besten ist dort ein standardisiertes Verfahren anzuwenden, das vermeidet, dass es zu Diskussionen (z. B. über Fotovoltaik, Frauenquote oder Atomkraft) zwischen potenziellem Kunden und dem Verkäufer kommt, da das vom eigentlichen Verkauf ablenkt – und diesen bei unterschiedlichen Einschätzungen der Situation sogar verhindern kann. Ein solches Verfahren ist beispielsweise eine Abfrage nach einer DIN-Norm, wie sie gerade entwickelt wurde. Darüber hinaus sollte sich der Verkäufer einem Zertifizierer anschließen, da er ohne Hilfe nicht in der Lage ist, zu bewerten, ob ein Produkt nachhaltig ist und in welcher Klasse. Er gerate da als Makler in eine nicht zu unterschätzende Haftungslage.

finanzwelt: Wie wichtig ist das Thema beim Versicherer, wie wichtig beim Makler und wie wichtig bei Kunden? Ist da nicht ein Missverhältnis?
Prof. Zeidler» Sie greifen vor, Sie Ungeduldiger. Meiner Einschätzung nach ist bei vielen Versicherern dieses Thema sehr weit oben auf ihrer Entscheidungsagenda. Für den Makler – danach haben Sie gefragt – ist es ein weiterer Baustein der Analyseerfassung und der notwendigen Dokumentation mit der entsprechenden Zeitinvestition. Aber ihm kommt das Mindset der sich ändernden Kundensicht entgegen. Den Menschen ist die Frage der Nachhaltigkeit zunehmend wichtig und sie möchten zu diesem Thema bei ihren Entscheidungen einen positiven Beitrag leisten. Zugegeben, das gilt noch nicht für alle Menschen, aber es werden mehr. Der Lackmustest besteht darin, dass der potenzielle Kunde gegebenenfalls auch eine Renditeeinschränkung hinzunehmen bereit sein sollte, wenn er ESG-zertifizierte Produkte erwirbt. Im Moment gibt es auch noch nicht genügend nach Artikel 8 und 9 zertifizierte Produkte, um jeden möglichen Bedarf befriedigen zu können, aber auch die werden stetig mehr.

finanzwelt: Wie entgegnen wir Greenwashing und Greenmarketing glaubwürdig?
Prof. Zeidler» Das ist schwer zu beantworten. Es wird natürlich solche Auswüchse geben. Wieso gerade hier nicht. Gefordert ist eine Aufmerksamkeit. Die kann ein Einzelner nicht leisten, das muss geleistet werden von Instituten oder ähnlichen, die das bewerten können. Wäre das etwas für die Marktwächter? (lvs)