Grauer Kapitalmarkt – Totgesagte leben länger! Neues vom Dauerzustand.

26.05.2013

Bei Daniel Blazek laufen viele Fäden zusammen. Als Rechtsanwalt (BEMT Rechtsanwälte) vertritt er mit seinen Kollegen seit zehn Jahren erfolgreich die Interessen von Emittenten und Finanzdienstleistern. Die Aktenschränke sind voll mit Vorwürfen der Anlegeranwälte, bundesweiten gerichtlichen Entscheidungen und behördlichen Verfügungen.

Derzeit agiert Blazek unter anderem in Massenverfahren um Hintermanneigenschaften, ist Geschäftsführer der Klägerin in einem der größten Schadensersatzprozesse der Bundesrepublik und bereitet Emittenten und Vertriebe auf die Umwälzungen im Aufsichts- und Haftungsrecht vor. Über Namen redet er nicht gerne und mag auch keinen lauten Aktionismus im Internet. Am finanzwelt Round Table zur Perspektive des Kapitalmarkts nimmt er jedoch teil. Das Vorgespräch hierzu führte Christoph Sieciechowicz.

finanzwelt: Herr Blazek, „Graumarkt“ ist eine merkwürdige Bezeichnung, oder?

Blazek: Aktuell ja. Sie fand sich zwar schon in Gesetzesbegründungen und auch in Formulierungen des BGH und bezeichnete einmal die Abgrenzung zum gesetzlich regulierten „weißen“ Kapitalmarkt. Heute allerdings hat die Bezeichnung fast schon den Wert einer Beleidigung. Sie ist zu einem Synonym der Krise verkommen.

finanzwelt: Die Krise ist nicht von der Hand zu weisen. Selbst Carsten Maschmeyer sagte neulich sinngemäß im Spiegel-Interview, es wäre für Anleger und Vermittler besser gewesen, es hätte geschlossene Fonds nie gegeben.

Blazek: Teilweise ist das sogar wahr. Das Handelsblatt sprach unlängst von Systemversagen.

finanzwelt: Und Sie wurden dort zitiert und meinten, der Staat trage eine Mitschuld an der aktuellen Misere.

Blazek: Das sehe ich so. Ich meine, dass er über einen längeren Zeitraum die Vermögensanlagen recht unstrukturiert reguliert hat und immer noch recht praxisfern zu regulieren versucht.

finanzwelt: Einige meinen, der Staat hätte vielfach zu spät eingegriffen, so dass ein erheblicher volkswirtschaftlicher Schaden entstanden ist.

Blazek: Ich persönlich werfe dem Gesetzgeber eher vor, dass er allzu politisch reagiert und dabei in den letzten Jahren nicht für eine klare Linie im Graumarkt sorgte. Er nutzt nun Erwägungen aus der Banken- und Wirtschaftskrise, um Vermögensanlagen gleich mit zu regulieren. Ob das am Ende wirklich effektiv ist, wird sich zeigen.

finanzwelt: Wie meinen Sie das?

Blazek: Die Banken und Versicherungen werden doch seit langem bereits beaufsichtigt. Und dennoch gerieten manche in existenzielle Krisen, legten gescheiterte Produkte auf, verkauften Kreditpakete mit maroden Grundschulden oder haben selbst einige derjenigen Vermögensanlagen vertrieben, über die sich heute so viele empören. Und nun soll der Graumarkt effektiv reguliert werden mit Ansätzen, die im Kern aus der klassischen Aufsichtsperspektive der Banken und Wertpapiere stammen?

finanzwelt: Meinen Sie, der Gesetzgeber macht sich nicht die richtigen Gedanken?

Blazek: Doch, das macht er grundsätzlich. Die Frage ist, auf welchen Erfahrungen und Marktkenntnissen die Gedanken letztlich beruhen. Manchmal glaube ich einfach, dass in den Kommissionen nicht der richtige Eindruck von den Eigenheiten des Graumarkts herrscht, nicht vom Anleger, nicht vom Vermittler und Berater, nicht vom Management der Emittenten und nicht von den Anlegerprozessen. Wenn man den Graumarkt richtig regulieren will, muss man in ihn hineingehen, ihn kennen und nicht bloß allgemein den Anlegerschutz und die Vermeidung von Verlusten im Auge haben oder sich von allzu abstrakten Gedanken leiten lassen wie Vertrauensverlust der Bevölkerung. Und es reicht auch nicht, den einen oder anderen Anlegeranwalt zur Rechtsfindung zu fragen und rein juristisch-dogmatisch an die Sache zu gehen.

finanzwelt: Ein immer wieder gehörter Vorwurf ist, dass sich gerade im unbeaufsichtigten Grauen Kapitalmarkt besonders viele schwarze Schafe tummeln, vor denen die Anleger geschützt werden müssen.

Blazek: Das mögen manche für richtig halten. Ich halte es für zu undifferenziert und für an der Rechtsrealität vorbeigedacht. Denn wer damit Straftäter meint, muss sich entgegenhalten lassen, dass es dafür bereits längstens staatliche Regelungen gibt, nämlich die des Strafgesetzbuchs und bestimmter Nebengesetze. Und wer eine zivilrechtliche Pflichtverletzung begeht, haftet dort seit jeher auf Schadensersatz, was also alles nichts Neues ist. Neu ist nur der Gedanke, alles regulieren zu wollen, nur weil viele sich über wirtschaftliche Verluste empören. Das ist ein rein politisches Zugeständnis. Auf der anderen Seite steht, dass jedermann grundsätzlich frei stehen muss, ein Unternehmen zu gründen, Kapital einzusammeln und es ohne unbedingten Rückzahlungsanspruch zu verwalten. Das nennt man dann Handlungsfreiheit, unternehmerische Freiheit und Vertragsfreiheit.

finanzwelt: Das führte aber häufig zu Verlust, Falschberatung, fehlerhafter Prospektierung und manchmal zu unlauterem Umgang mit Anlegergeldern.

Blazek: Das will ich nicht bestreiten, aber nochmals: Dagegen stehen zivilrechtliche und strafrechtliche Regelungen. Das, worauf Anleger dennoch sitzenbleiben können, ist der rein wirtschaftliche Verlust, wenn kein Schadensersatz zu erzielen ist.

finanzwelt: Und wie stehen Sie dazu?

Blazek: Das ist in Einzelfällen tragisch, und dort kann man auch im Prozess noch versuchen, sachgerechte Lösungen zu finden. Aber in den meisten Fällen bedauere ich einen Anleger nicht sonderlich, der ein Emissionsprospekt mit dem Hinweis auf das Totalverlustrisiko gelesen hat und dann sein Geld dort verliert, ungeachtet einer etwaigen Falschberatung. Hand aufs Herz: Ich bin da ganz anders, als sich der typische Anlegeranwalt darstellt. Meiner Ansicht nach gehört Verlust hin und wieder zum Leben, ob wir wollen oder nicht. Es gibt keinen Anspruch auf ewigen Gewinn.

finanzwelt: Zugegeben, aber wie sehen das die Anleger im Prozess?

Blazek: Die meisten Anleger sehen das nicht so. Sie wollen vollen Schadensersatz, obwohl sie eine Beteiligung mit Totalverlustrisiko eingegangen sind. Das ist paradox. Dahinter steckt die – nicht selten von Anlegeranwälten geschürte – Einstellung, dass das Geld nicht verloren sein soll, obwohl es verloren sein kann. Der Verlustgedanke existiert heute praktisch nicht mehr. Er bedeutet heute automatisch Schadensersatz.

finanzwelt: Das klingt so, als würde Sie der Verbraucherschutzgedanke auch nicht immer überzeugen.

Blazek: Nicht immer, aber hier bin ich vielleicht auch zu altmodisch. Bisweilen scheint mir der Verbraucherschutz eher ein Beleg dafür zu sein, für wie unmündig der Gesetzgeber seine Bürger hält. Der Verbraucher darf wählen, Kinder erziehen, Auto fahren, sich hoch verschulden und innerhalb von Minuten in eine potenziell tödliche Operation einwilligen, aber er darf kein Zeitungsabonnement an der Haustür abschließen oder ein Buch im Internet bestellen, ohne dass ihm aufgrund der Überrumpelungssituation oder mangelnden Prüfbarkeit ein Widerrufsrecht eingeräumt wird.

finanzwelt: Zurück zum Thema – wie steht es denn Ihrer Ansicht nach derzeit um den Grauen Kapitalmarkt?

Blazek: Schlecht. Aber das ist nichts Neues, nur etwas Aktuelles. Das Management von Emittenten wird jetzt reguliert, damit mittelbar auch die Anlagen selbst, wenn auch mit unterschiedlichen Reichweiten. Über die Auslegung bestimmter Regelungen und Begriffe des KAGB, welches ab Juli 2013 gelten soll, herrscht allerdings noch Uneinigkeit. Deshalb verschwinden Emittenten und Emissionen. Zudem bedarf die gewerberechtliche Erlaubnis nun einer Haftpflichtversicherung, die je nach Risikoklasse tarifiert wird, und eines erneuten Verfahrens zum Sachkundenachweis. Das alles fördert das Entstehen von Ventilprodukten jenseits der Erlaubnis- oder Prospektierungspflicht, die derzeit aktiv als angeblich § 34f-freie Produkte an Gelegenheitsvermittler ausgelobt werden. Das schafft zusätzliche Risiken für diese gesetzlich weniger qualifizierten Vermittler, woran am Ende wieder der Anleger leidet. Kurz gesagt: Es sind spannende Zeiten.

finanzwelt: Wollen Sie damit sagen, dass die derzeitige Regulierung des Grauen Kapitalmarkts kontraproduktiv ist? Indem sie diese Ventilprodukte als alternatives Betätigungsfeld für Gelegenheitsvermittler schmackhaft macht?

Blazek: In Teilen ja. Derzeit haben Nachrangdarlehen, partiarische Darlehen und reihenweise Private Placements Konjunktur. Einige dieser Ventilprodukte beurteile ich als kritisch.

finanzwelt: Warum genau?

Blazek: Das ist immer eine Frage des Einzelfalls, aber häufig hängt alles von der Motivation des jeweiligen Emittenten ab und davon, ob er die Risiken für alle Beteiligten minimieren will oder nicht. Denn oft handelt es sich um Vermögensanlagen, die nicht prospektierungspflichtig sind. Das nährt das Risiko, dass Anleger anhand der Produktunterlagen nicht hinreichend aufgeklärt werden, was gleichzeitig zum Risiko für die Vermittler wird. Die Quote fehlerhafter Widerrufsbelehrungen ist zudem recht hoch. Einige Produkte haben auch Probleme mit dem Einlagenbegriff des KWG, gerade im Bereich der qualifizierten Nachrangdarlehen. Hier wird die Übernahme der Finanzierungsverantwortung für den Anleger nicht immer deutlich genug und bestellte Sicherheiten sind oft nicht ohne Dritte verwertbar, was schlecht ist.

finanzwelt: Besteht hier nicht auch ein besonderes Risiko für den Vertrieb?

Blazek: Grundsätzlich ja, allein schon deshalb, weil für solche Ventilprodukte jenseits der Gewerbeordnung regelmäßig keine Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung besteht und die unbeaufsichtigten Produktinformationen in aller Regel risikoreicher sind.

finanzwelt: Was glauben Sie, wird in den nächsten Jahren mit dem Grauen Kapitalmarkt geschehen?

Blazek: Viele glauben, der Markt sei tot. Ich sehe das nicht so. Der Bereich der geschlossenen Fonds wird überleben. Ausgedünnt, aber dafür höher qualifiziert. Dasselbe gilt für die weiter beaufsichtigten Finanzanlagenvermittler. Auch am anderen Ende, bei den Nischen- und Ventilprodukten und entsprechenden Vertrieben, wird eine Konzentration zu bemerken sein. Im Übrigen steht noch die eine oder andere Haftungswelle aus, zum Beispiel die der Schiffsfonds. Und es bleibt abzuwarten, wie sich die Anforderungen der FinVermV auf alle Vermittler und Berater in den künftigen Prozessen auswirken werden, quasi als gesetzliches Leitbild der ordnungsgemäßen Aufklärung. Und dann gibt es noch all die anderen Altlasten, die in den nächsten Jahren die Gerichte belasten werden.

finanzwelt: Also wird sich im Grundsatz nicht viel ändern?

Blazek: Darauf würde ich wetten. Es gibt neue Probleme oder Facetten alter Probleme, aber ich meine, grundsätzlich bleibt erst einmal alles beim Alten.

(Das Gespräch führte Christoph Sieciechowicz)

Interview mit Daniel Blazek - Printausgabe 03/2013