Europa ist das Kapitalmarktrisiko, nicht Trump!

16.11.2016

Robert Halver, Leiter Kapitalmarktanalyse Baader Bank / Foto: © Baader Bank

Freihandel kein Freifahrtschein mehr für Deutschland

Mittlerweile ist auch Amerika froh über seine Exporte. Doch sind die USA dank einer großen, konsumfreudigen Bevölkerung und verschuldungstrunkenen Finanzpolitik darauf nicht annähernd so angewiesen wie z.B. Deutschland. Unsere volkswirtschaftliche Nahrungskette hat oft genug mit Außenhandel ihren Anfang genommen und beim Konsum aufgehört. Wenn die USA wollten, könnten sie uns mit Handelsprotektionismus so richtig wehtun. Donald Trump wird sich hier zwar nicht als Sadist aufführen, aber wiederum als knallharter Geschäftsmann: Keine Leistung ohne Gegenleistung.

Ab Amtseinführung am 20. Januar 2017 wird ein kälterer handelspolitischer Wind wehen. Europa und speziell Deutschland werden mehr für die Weltkonjunktur tun müssen. Das, was uns der IWF seit Jahren durch die Blume sagt, wird uns die neue US-Administration weniger charmant nahe bringen: Investiert mehr, lasst deutlich mehr Schulden und weniger germanische Stabilität zu. Und für Griechenland wird man etwas fordern, was bislang für Frau Merkel und Herr Schäuble Teufelszeug war: Einen großzügigen Schuldenschnitt. Für Trump muss alles aus dem Weg geräumt werden, was dem Wachstum schadet, auch Schulden. Nicht anders hat er es in seinem Immobilienimperium gemacht. Seine Politik bekommt einen unverkennbar wirtschaftlichen Anstrich. Die Botschaft ist: Von Trump lernen, heißt siegen lernen.

Im Übrigen weiß auch die neue Trump-Administration um die strategische Bedeutung Griechenlands. Washington will keine Destabilisierung an der Südostflanke der Nato. Zusammengefasst heißt das: Je mehr wir uns fügen, desto mehr hält Donald die Tür des Freihandels offen.

Auch Nebenkriegsschauplätze sollten als amerikanische Drohkulisse nicht ignoriert werden. Deutsche Banken und Autokonzerne haben das schon zu spüren bekommen. Dass hierbei mit zweierlei Maß gemessen wird, ist unverkennbar, stört aber in Amerika nicht weiter. Denn wer als Auto-Manager in den USA ohne Abgas-Sünde ist, werfe den ersten Stein.

Hält der europäische Hühnerstall dem Fuchs Trump stand?

Die Hoffnung Europas, dass mit Mutti Hillary die geostrategische Happy Hour anhält, ist dahin. Auf die Herausforderungen des Trumpismus muss Europa starke gemeinschaftliche Antworten finden. Einfacher gesagt als getan!

Denn ab 2017 muss die EU zunehmend ohne die Großen Briten auskommen. Trump hat immer große Sympathien für die „Befreiung“ Großbritanniens aus dem EU-Gefängnis gezeigt. Damit wird sich die Regierung unter Theresa May bestärkt fühlen, eine knallharte Scheidung von der EU anzustreben.

Durch diesen Hard Brexit scheidet Großbritannien - Atommacht, geostrategisch kampferprobt als ehemalige Kolonialmacht und als ständiges Mitglied im UN-Sicherheitsrat - als Kämpfer für gemeinsame europäische Ideale und vor allem als Gegengewicht zu Amerikas Machtdominanz aus. May und Trump könnten ein ebenso harmonisches Polit-Duo werden wie früher Thatcher und Reagan. Auch ein weitgehendes Handelsabkommen unter diesen Freunden ist möglich. Grundsätzlich werden zukünftig die Ähnlichkeiten beider Länder - die bereits auf Fotos zwischen Donald Trump und dem britischen Außenminister Boris Johnson unverkennbar sind - deutlich herausgestellt.

Dagegen taugen Merkel und Trump kaum als gelungene Besetzung für eine Liebesschnulze von Rosamunde Pilcher. Die Mutter Europas wird es schwerer haben, sich transatlantisches Gehör zu verschaffen.

Großbritannien könnte sogar zum amerikanischen Dorn im Fleisch der EU werden. Stärker wird Rest-Europa in seiner (wirtschafts-)politischen Verteidigung gegen Trump und eine neue strategische Achse Washington und London sicherlich nicht.

Überhaupt, selbst mit den Briten ist Europa den Beweis für europäischen Zusammenhalt oft genug schuldig geblieben. Oder will man bei der gemeinsamen Stabilitäts- und Flüchtlingspolitik oder bei der Sicherung der Außengrenze von Erfolgen sprechen?

Wird die europäische Idee im Wahljahr 2017 überhaupt eine Chance haben?

Eine positive Wende zum Besseren ist kaum in Sicht. Auch 2017 wird Europa geschwächt sein wie Seemann Popeye ohne Spinat. Nach dem unerwarteten Wahlsieg Trumps gilt auch für die anstehenden Wahlen in Europa „Nichts ist unmöglich“, eben auch nicht die Abrechnung mit dem politischen Establishment. Auf scheinbar beruhigende demoskopische Umfragen kann man nicht mehr unbeirrt vertrauen. Fatalerweise gibt es nächstes Jahr gleich drei Nationalwahlen in der Eurozone: Deutschland, Niederlande, Frankreich. Vor allem in den zwei letztgenannten Ländern geben viele Wähler Europa die Schuld an nationalen Fehlentwicklungen.

Und es könnte noch dicker kommen: Die Abstimmung über eine neue italienische Verfassung am 4. Dezember könnte für Ministerpräsident Renzi zum Spießrutenlauf werden. Spätestens seit Trumps Wahlsieg haben Italiens Populisten das Referendum als Denkzettelwahl gegen die Europa-freundliche Polit-Elite in Italien auserkoren. Verliert Renzi die Abstimmung - die Gegner der Verfassungsänderung liegen stabil in Führung - wird es 2017 Neuwahlen auch in Italien geben.

Mit Rücksicht auf viele Euro-skeptische Wähler ist damit im nächsten Jahr von Europa nichts für Europa zu erwarten. Da nutzen auch die vielen Stuhlkreise in Brüssel mit hartnäckigem, wenn nicht sogar arrogantem Überlegenheitsgefühl wenig. Parolen wie „Europa muss Supermacht sein, weil man zukünftig auf Amerika weniger zählen kann“ hört man zurzeit oft. Doch wo ist der Nährwert, wenn sich dahinter nur politisch heiße Luft verbirgt, wenn politische und wirtschaftliche Reformen ausbleiben?

Ein sich wie ein Grippevirus verbreitender Euro-skeptischer Populismus ist damit nicht zu bekämpfen. „Nichts ist mächtiger als eine Idee, deren Zeit gekommen ist“ schrieb einst der große französische Schriftsteller Victor Hugo. Dieses von ihm durchaus positiv gemeinte Zitat bereitet mir mittlerweile Sorgen.

2017 wird das politischste Kapitalmarktjahr aller Zeiten werden. Und die größten Börsenrisiken gehen dabei nicht von Trump oder Brexit aus, sondern von Europa. Ob Europa endlich verstanden hat?

Vor diesem Hintergrund ist es beruhigend, auch Gold zu besitzen.

Kolumne von Robert Halver, Leiter Kapitalmarktanalyse Baader Bank

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