„Es gibt nicht die eine Lösung“

17.06.2024

(v.l.n.r.) Dr. Eva-Maria Zindler, Andrea Machost, finanzwelt-Redakteurin Maria Leladze, Dr. Jutta Krienke und Dr. Sabine Hampel - Foto: © Sabrina Henkel / finanzwelt

finanzwelt: Beim Thema kommen natürlich auch Stichwörter wie „Gender-Pay-Gap“, „Gender-Pension-Gap“ und „Care-Arbeit“ auf. Welchen Apell würden Sie an die Politik richten, damit sich etwas ändert?

Krienke: Ich möchte den Appell verstärken, das Ehegattensplitting abzuschaffen. Es unterstützt solche Paare systematisch, bei denen der eine sehr viel, und die andere sehr wenig verdient. Deutschland wurde sogar von der OECD und der EU-Kommission hierfür gerügt. Wir sehen aber auch: Die Familie ist die kleinste politische Einheit und wenn sich das Paar nicht von Anfang an auf den Anteil an Arbeits- und Familienarbeit einigt, dann wird es auch für die „große“ Politik schwer, Verhältnisse zu ändern. Also ist es bis auf weiteres in der Verantwortung jedes einzelnen Menschleins, auf sich zu achten und für sich einzustehen. Ich kann nur an Selbstfürsorge appellieren, auch und gerade in Bezug auf die eigene Altersvorsorge.

Insbesondere müssen Frauen dafür sorgen, dass sie am Arbeitsmarkt attraktiv bleiben, damit der Lifetime Earnings Gap nicht weiter aufgeht. Bei dem Einkommen, das über das gesamte Erwerbsleben erwirtschaftet wird, gibt es nämlich ebenfalls große Unterschiede zwischen Männern und Frauen. In Westdeutschland erwirtschaften Frauen rund 45 % weniger in ihrem Leben als Männer (40 % in Ostdeutschland). Mütter in Westdeutschland verdienen mit 62 Prozent Unterschied noch viel weniger (48 % in Ostdeutschland). Das hat erhebliche Folgen für die Absicherung bei Arbeitslosigkeit und im Alter. Sie müssen dafür sorgen, dass Arbeit und Familie sowie Verdienst und finanzielle Vorsorge gleichberechtigt aufgeteilt werden. Nicht zuletzt ist die Unterstützung von Alleinerziehenden ein großes Thema. Der Staat muss bei dieser Gruppe deutlich mehr und sinnvoller unterstützen. Das wären meine drei Punkte: Die Familie, die Abschaffung des Ehegattensplittings und die Unterstützung von Gruppen, die es nicht allein schaffen.

Machost: Der Gender Pension Gap wird sich nicht reduzieren, wenn wir nicht den Gender-Lifetime-Earnings Gap überwinden. Das heißt: Frauen in die Vollzeit oder aber vollwertige Anerkennung bzw. Rentenberücksichtigung für die, meist von Frauen, geleistete Familien- bzw. Care Arbeit. Das wird sich der Staat jedoch nicht leisten können.

Hier treffen wir zusätzlich auf ein gesellschaftliches Thema, denn auch in der jungen Generation ist es keineswegs üblich, dass Väter z.B. in Elternzeit gehen oder dauerhaft die Kindererziehung übernehmen. Gleiches gilt bei der Pflege älterer Familienangehöriger.  Meist ist der Hintergrund hierfür jedoch die Tatsache, dass das Einkommen des Mannes das höhere ist und sich daraus die Rollenverteilung quasi automatisch ergibt. 

Damit sind wir bei der Kinderbetreuung und der wichtigen Rolle der Politik. Sie muss die Rahmenbedingungen schaffen, dass es kein Widerspruch mehr ist, von Frauen und Männern in gut bezahlten Berufen zu sprechen, die gleichzeitig eine Familie gründen. Derzeit fehlen rund 400.000 Kindergarten-Plätze in Deutschland. Auch wenn große Unternehmen mit eigenen Kitas hier bereits wertvolle Beiträge leisten, um Frauen ihre Berufstätigkeit zu ermöglichen, muss die Politik, die ihre Zusagen hier nie eingehalten hat, endlich konsequent handeln.

Auch die Situation von Alleinerziehenden muss deutlich verbessert werden.  Neben stärkeren steuerlichen Entlastungen für alleinerziehende Frauen und Männer, müsste ein direkter und bezahlbarer Zugang zur Kinder- und Kleinkinderbetreuung am Wohnort gesichert sein. Es gibt Länder, schauen wir z.B. nach Frankreich oder Skandinavien, dort haben Frauen wunderbar die Möglichkeit, sich für Familie und eine qualifizierte Vollzeitbeschäftigung zu entscheiden. Auch, weil es gesellschaftlich selbstverständlich und akzeptiert ist und nicht negativ bewertet wird. Ein solches System hatten wir im Übrigen in den neuen Bundesländern, haben es jedoch verpasst, es zu übernehmen und im gesamten Land zu etablieren. Fazit: Auch hier muss die Politik die Basis dafür schaffen, dass es kein Widerspruch oder aber Luxus ist, Kinderbetreuung mit Berufstätigkeit zu verbinden. 

Hampel: Wir als Investoren oder als Privatpersonen können seit 2023 gemäß der EU-Lohntransparenz-Richtlinie die Offenlegung des Gehaltsgefüges verlangen. Das ist ein ESG- und damit Nachhaltigkeitsthema, Stichwort: Transparenz. Das wäre schon mal eine einfache Sache. Ich stelle mir immer die Frage: Wo kann ich ein bisschen was bewirken? In meiner Rolle als Investor ist es zum Beispiel ein Leichtes, diese Themen gegenüber dem Vorstand auf einer Investorenkonferenz anzusprechen und Transparenz einzufordern.

Man sollte auch Väter nicht stigmatisieren, wenn sie in Elternzeit gehen. Ein Mann, der sich dafür entscheidet, in Eltern- oder Teilzeit zu gehen, oder auch Menschen, die ältere Familienmitglieder zu Hause pflegen – das alles sollte zur Normalität werden! Es ist normal, dass die Mutter sich kümmert, aber es muss auch normal sein, dass der Vater sich mal kümmert. Mütter können ihren Kindern viel Gutes vermitteln, aber Väter haben eine ganz andere Erziehungsweise, die Kindern guttut. 

Stichwort Kinderbetreuung: Es fehlen um die 400.000 Kindergarten-Plätze in Deutschland und ich glaube, die Politik kriegt es nicht wirklich hin. Es muss daher auch viel von den Unternehmen kommen.  Das ist der bunte Blumenstrauß, von dem ich eingangs gesprochen habe.

Machost: Alleinerziehend bist du in Deutschland verloren als Frau. Die Steuerklasse I für Alleinerziehende ist ein absolutes Unding! Es gibt Länder, die können Frauen wunderbar die Möglichkeit geben, sich vielleicht dafür zu entscheiden. Da sind wir einfach gesellschaftlich so schlecht aufgestellt, dass wir automatisch ein Ungleichgewicht kriegen. Bei dem Thema ist man immer so hin- und hergerissen. Auf der einen Seite wollen wir Familien wollen nicht, dass die Geburtenrate sinkt. Auf der anderen Seite klingt es immer so, als würden wir dagegen ankämpfen, wenn wir für Frauen in gutbezahlten Jobs sprechen. Aber das darf sich nicht widersprechen müssen.

Zindler: Was da fehlt, können Unternehmen nicht kompensieren. Genau das ist der Punkt. Ich meine, wir haben schon ein großes Unternehmen. Es gibt das Eltern-Kind-Büro, wenn was mit der Kita ist. Die anderen Kollegen freuen sich auch, dann sind halt Kids in der Kantine. Wir haben auch einen Familienservice. Beispielsweise zu Corona-Zeiten, wenn Unterstützung gebraucht wurde. Aber das ist doch keine flächendeckende Lösung. Das funktioniert nicht für unsere dezentralen Einheiten und würde auch bedeuten, dass alle Frauen (und Männer), die Familie planen, sich nur bei großen Unternehmen bewerben sollten. Das wäre fatal. Die gute Nachricht ist: Wir haben jetzt die Rahmenbedingungen. Sowohl in der Branche als auch darüber hinaus lernen wir, remote zu führen. Gleichzeitig stellt sich die Frage: Was müssten wir angehen? Wir waren mit Verhaltensweisen bisher erfolgreich, die uns nicht unreflektiert in die Zukunft führen, weil die nachfolgenden Generationen etwas anderes erwarten. Wie reagieren wir jetzt beispielsweise auf den Wunsch der Vier-Tage-Woche? Vielleicht erstmal schmunzelnd oder vielleicht sogar verurteilend? Wenn es eine ganze Generation als ihr Ziel sieht, dann brauchen wir Antworten. Sonst finden andere Unternehmen oder Branchen Antworten für denselben Arbeitnehmermarkt, auf den wir zugreifen wollen.

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