Ein Jahr Brexit - und nun?

13.07.2017

Philippe Waechter, Chefvolkswirt von Natixis Asset Management / Foto: © NAM

Ein Jahr nach dem Brexit-Referendum ist die Zukunft Großbritanniens keineswegs klar. Nach der Euphorie aus dem vergangenen Sommer hat sich die Stimmung jenseits des Kanals geändert. So hat der konjunkturelle Trend inzwischen nachgelassen, während sich gleichzeitig die durchaus berechtigte Frage stellt, wie sich die Briten den Brexit denn nun konkret vorstellen. Für mich gibt es in diesem Zusammenhang drei wichtige Aspekte:

- Welche Strategie verfolgen die Briten? Was wünschen sie sich für ihre Zukunft?

- Die ersten Auswirkungen auf die Wirtschaftsaktivitäten sind bereits erkennbar.

- Die nächsten Jahre werden für die Briten eine schwere Zeit.

Welche Strategie?

Nach einem Jahr ist dies die wichtigste Frage überhaupt. Das Votum für den Brexit war in erster Linie politisch motiviert. Es beruhte auf der vermeintlichen Notwendigkeit, dass die für Großbritannien relevanten Entscheidungen wieder in London und nicht mehr in Brüssel getroffen werden sollen. Ein weiterer entscheidender Faktor war auch das Thema Migration. Die britische Regierung sollte in die Lage versetzt werden, die Zuwanderung zu steuern. Dies war mit einer Mitgliedschaft in der Europäischen Union jedoch nicht vereinbar.

Die Zeit unmittelbar nach dem Referendum war eine sehr politisch dominierte Phase. Es musste ja jeder Brite und jede Britin für die Pläne der Regierung und den angestrebten Brexit-Prozess gewonnen werden. Dies war jedenfalls die Strategie von Theresa May. Im Sommer und Herbst letzten Jahres überzeugte sie die Bürger dank der guten wirtschaftlichen Lage zwischenzeitlich auch davon. Seinerzeit hatte der Brexit einen positiven Effekt auf das Wachstum. Damals ging man noch von einem „harten“ Brexit aus, im Zuge dessen die Beziehungen zur EU endgültig beendet werden sollten. Auch mit der Unterstützung von Donald Trump wurde eine solche Strategie als nachhaltig betrachtet, und man nahm an, dass Großbritannien in diesem Prozess seine Geschicke selbst in der Hand haben würde.

Diese Euphorie ist nach der Berufung auf Artikel 50 der EU-Verträge vom 29. März jedoch verflogen. Inzwischen konzentrieren sich alle auf die konkreten Folgen der Trennung von der EU. Dann schlug May vor, die Parlamentswahl auf den 8. Juni vorzuziehen. Seitdem herrscht heilloses Durcheinander. Die Regierung hat mittlerweile keine Mehrheit mehr, und der Wahlausgang hat gezeigt, dass man sich anstelle eines „harten“ eher einen „weichen“ Brexit wünscht. Bei einem „weichen“ Brexit bliebe der Zugang um EU-Binnenmarkt bestehen. Allerdings könnten die Briten die Zuwanderung nicht nach eigenem Ermessen steuern, und auch die Vorgaben für Großbritannien im Hinblick auf den Binnenmarkt kämen nach wie vor aus Brüssel. Und über die Regeln könnte auch nicht mehr diskutiert werden, selbst wenn sich diese in Zukunft noch ändern würden. Für Großbritannien ist dies wohl die denkbar schlechteste Ausgangslage. Und genau in dieser Konstellation begannen am 19. Juni die Verhandlungen mit der EU.

Man realisiert zunehmend, dass Großbritannien ein wichtiger Teil der europäischen Wertschöpfungskette war und deshalb nun das Risiko besteht, aus diesem Markt gedrängt zu werden. Dieses Argument wurde kürzlich von Airbus vorgebracht. Dieses europäische Unternehmen ist sich nicht sicher, ob der Erhalt der britischen Produktionsstätten nach dem Brexit überhaupt noch effizient ist und sich innerhalb der EU nicht vielleicht bessere Produktionsbedingungen bieten.

Der letzte Aspekt in diesem Zusammenhang ist die Glaubwürdigkeit von Theresa May. Momentan ist sie Premierministerin mangels Alternativen. Was kann sie tun? Ihre Strategie in Richtung eines „harten“ Brexit wird von den Wählern nicht befürwortet, und ihre Sparpolitik wurde von Jeremy Corbyn strikt infrage gestellt. Mit anderen Worten: Wir wissen nicht, wie sich die Briten ihre Zukunft vorstellen. Die Entscheidungen, die es nun zu treffen gilt, werden zwar langfristige Auswirkungen auf die britische Gesellschaft, die britische Wirtschaft sowie den Platz Großbritanniens in der Welt haben. Wir können allerdings davon ausgehen, dass die Briten derzeit nicht wissen, was sie wollen. 

Aus Sicht der Europäischen Union scheint diese Strategie dafür zu sprechen, dass sich die Briten auf die Freundlichkeit der EU-Unterhändler verlassen und davon ausgehen, dass die EU letztlich die Entscheidungen für sie trifft. Das ist jedoch wirklich bizarr und dürfte sich als absolut problematisch erweisen, falls Michel Barnier, der Chef-Unterhändler der EU, an seiner harten Linie festhalten sollte. Und davon sprach er kürzlich in einem Interview mit der FT. Er möchte schließlich keinen Präzedenzfall schaffen und wird deshalb hart bleiben. Dieser Schlingerkurs Großbritanniens sorgt für Unsicherheit hinsichtlich der Absichten sowie der Zukunftsaussichten des Landes. Und das wiederum kann internationale Investoren abschrecken.

weiter auf Seite 2