Die Schwarze Null ist nicht mehr heilig
28.10.2019
Michael Reuss, geschäftsführender Gesellschafter der Huber, Reuss & Kollegen Vermögensverwaltung / Foto: © Huber, Reuss & Kollegen
Kritik an der Schwarzen Null
Vor allem auf Deutschland nimmt der Druck zu. Das Wachstum der größten Volkswirtschaft Europas ist im vergangenen Quartal um 0,1 Prozent gesunken. Technisch gesehen befindet sich das Land damit in einer Rezession. Dies hat Auswirkungen über die eigenen Grenzen hinaus: Schwächelt Deutschland, schwächelt Europa. Doch umfassende Fiskalprogramme, die mit neuen Schulden finanziert werden, sind in Deutschland nicht so leicht umzusetzen. Seit 2016 gilt für den Bund die in der Verfassung verankerte Schuldengrenze. Demnach darf er neue Kredite nur sehr limitiert (0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts) aufnehmen. Für 2019 wären dies sechs Milliarden Euro. Nur in Ausnahmefällen, wie beispielsweise bei einer schweren Rezession, ist der Spielraum größer.
Viele Experten halten die Politik der schwarzen Null für ökonomischen Unsinn, gerade in wirtschaftlich flauen Zeiten. „Die schwarze Null gehört in einer konjunkturell fragilen Lage auf den Prüfstand. Finanzpolitisch muss Deutschland jetzt umschalten“, heißt es beispielsweise vom Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI). Hinzu kommt: Schulden machen wäre wirtschaftlich sinnvoll. Angesichts der Zinspolitik der EZB und Deutschlands hervorragender Bonität verdient der deutsche Staat mit neuen Bundesanleihen derzeit Geld. Konkret: Leiht sich der Staat im Rahmen einer 30-jährigen Bundesanleihe 100 Euro, muss er in 30 Jahren nur 93 Euro zurückbezahlen. Zudem steht das Land finanziell hervorragend da. Seit 2013 verbucht das Finanzministerium Haushaltsüberschüsse, der Verschuldungsgrad liegt gemessen am Bruttoinlandsprodukt (BIP) bei gesunden 60 Prozent. Zum Vergleich: In Frankreich sind es knapp 100, in den USA 105 Prozent.
Die Appelle an die Bundesregierung zeigen Wirkung. So hatte Finanzminister Olaf Scholz kürzlich vorgerechnet, dass die Weltfinanzkrise Deutschland 50 Milliarden Euro gekostet habe. Sollte sich der Abschwung hin zu einer schweren Rezession entwickeln, wird Berlin wie nach der Finanzkrise 2008 ein umfassendes Konjunkturpaket auf den Weg bringen. In diesem Zusammenhang ist das von der Bundesregierung beschlossene Klimapaket, das 50 Milliarden Euro kosten soll, ohne dass die Schuldenbremse gebrochen wird, auch als ein fiskalpolitisches Programm zu sehen. Über weitere Maßnahmen wird nachgedacht. Die SPD macht sich für Steuerentlastungen insbesondere für kleinere und mittlere Einkommen stark. Und die Grünen haben einen Bundesinvestitionsfonds ins Spiel gebracht, der 35 Milliarden Euro im Jahr an neuen Krediten aufnehmen kann. Dafür sollte die Schuldenbremse gelockert werden.
Zu welchem Deal zwischen Bundesregierung und EZB es kommen könnte, erfahren Sie auf Seite 3