Die Aktienmärkte zwischen heute und morgen

27.02.2020

Didier Saint-Georges, Mitglied des Investmentkomitees und Managing Director bei Carmignac / Foto: © Carmignac

Die zunehmende Diskrepanz zwischen der wirtschaftlichen Realität und den Auswirkungen der Zentralbankpolitik auf die Finanzmärkte hat schwerwiegende soziale und politische Auswirkungen gehabt. In einem Fall sind sie so gut wie unbestreitbar. Die Vergrößerung des Wohlstandsgefälles im letzten Jahrzehnt zwischen denen, die über Finanzanlagen verfügen, und denjenigen, die diese nicht haben, hat zunehmend eine gewisse Rebellion geschürt, die in einigen Ländern unerwartete Formen angenommen hat. Hätte zum Beispiel Donald Trump die Wahl 2016 gewonnen, wenn er den Arbeitern im Mittleren Westen keine höheren Einkommen versprochen hätte? Hätte eine Mehrheit der Briten fünf Monate früher für den Brexit gestimmt, wenn die EU-Wirtschaft stärkere Wachstumsraten verzeichnet hätte?

Führt man diese beiden Beispiele weiter, so zeigt sich, dass weder Donald Trump noch Boris Johnson in der derzeitigen Lage die Macht haben, den unaufhaltsamen Abwärtstrend des globalen Wirtschaftswachstums zu stoppen. Man kann die Investitionsausgaben nicht zehn Jahre lang auf breiter Basis kürzen, ohne den Preis dafür zu bezahlen. Die Trump-Regierung ist sich dessen wohl bewusst und hat ihre Wirtschaftspolitik entsprechend gestaltet. Dabei betrachtet sie die Weltwirtschaft als einen schrumpfenden Kuchen und hat ihre Position der Stärke offen ausgenutzt, um einen wachsenden Anteil des Kuchens auf Kosten der Handelspartner des Landes zu erobern. Dabei handelt es sich um unverhohlenen Protektionismus oder, genauer gesagt, um Merkantilismus. Merkantilisten lehnen die Idee ab, dass der Freihandel für alle von Vorteil sein kann, und betrachten die Weltwirtschaft als ein Nullsummenspiel. Es geht nur darum, zu den Gewinnern zu gehören. Nur hatte die im Europa des achtzehnten Jahrhunderts entstandene merkantilistische Philosophie eine wenig überzeugende Erfolgsbilanz. Die konkurrierende nationalistische Politik, die von solchem Denken inspiriert ist, bringt auf lange Sicht nur Verlierer hervor. Man könnte auch hinzufügen, dass diese Politik auch zu großen Spannungen zwischen Ländern führen kann, die in nicht enden wollende Handelskriege verwickelt sind. Aber auf kurze Sicht sind entsprechende Maßnahmen bei den Wählern recht beliebt, die annehmen, dass sie auf der Gewinnerseite landen werden. Man kann im Übrigen davon ausgehen, dass Boris Johnsons Haltung gegenüber der EU am Verhandlungstisch im Jahr 2020 auf einer Überschätzung der Stärke der britischen Wirtschaft beruhen könnte.

Warum der US-Markt derzeit im Vorteil ist, lesen Sie auf Seite 3