Der Versicherungsvertrieb wird immer digitaler

03.07.2020

Mira Oetzmann (li.) und Martin Baumann (re.) / Fotos: © Capgemini Invent

Eigenständige Kundenrecherche statt Beratung durch Versicherungsvertreter

Das veränderte Kundenverhalten führt dazu, dass Kaufinteressenten ihr Glück selbst in die Hand nehmen. Eigenständige Online-Recherchen und Empfehlungen von Familie, Kollegen und Freunden werden zur primären Informationsquelle und ersetzen zunehmend die Beratung kompetenter Versicherungsvertreter. Onlinebewertungen, die digitalen Präsenzen der Versicherungshäuser und die Möglichkeit, Policen vollständig digital abzuschließen, haben dadurch stark an Bedeutung gewonnen.

Kunden sehen sich so zunehmend in der Lage, Versicherungsprodukte ohne die Unterstützung eines Vermittlers für sich zu beurteilen. Als Konsequenz sind sie in hohem Maße dazu bereit, Versicherungen auch ohne persönliche Interaktion mit Vermittler und Versicherer abzuschließen.

Kunden aller Segmente präferieren die digitalen Möglichkeiten, eigenständig Informationen zu Versicherungsprodukten zu recherchieren und zu bewerten. So nutzt beispielsweise ein Großteil der Pioniere und Nachzügler Onlinebewertungen und Beurteilungen von Freunden, Familie und Kollegen, um sich über Versicherungsprodukte zu informieren. Bis zu 70 Prozent der Pioniere schließen Versicherungen bevorzugt online über die Website des Versicherers ab.

Abb. 3: Bevorzugte Informationskanäle und -quellen zu Versicherungssuche und -kauf

Derzeitige Ansprache- und Absatzkanäle widersprechen der Kundenerwartung

Ein Großteil der Versicherungsunternehmen hält bislang nicht mit der Entwicklung des Kundenverhaltens Schritt. Welche Ansprache- und Absatzkanäle die Versicherer priorisieren, widerspricht den Bedürfnissen und Erwartungshaltungen der Kunden im Jahr 2020. Traditionelle Kanäle wie Filialen, Agenturen und Makler haben für Versicherungshäuser weiterhin eine hohe Relevanz – allerdings bedingt durch etablierte Prozesse und Strukturen, nicht aufgrund der Erwartungshaltung der Kunden. Für diese sind die digitalen Kanäle wie mobile Apps oder Webseiten der Versicherer für den Versicherungsabschluss mindestens genauso wichtig wie die traditionellen Kanäle. Versicherer hingegen messen mit 76 Prozent dem klassischen, personengebundenen Absatzkanal die mit Abstand höchste Bedeutung zu. Direkte und digitale Kanäle haben für sie im Vergleich währenddessen nahezu keine Bedeutung.

Abb. 3: Bevorzugte Informationskanäle der Kunden und Einschätzung der Versicherer

Was bedeutet das für traditionelle Versicherer?

Eine langjährige Kundentreue zu einem Versicherungsunternehmen und ihr Vertrauen auf die Beratung durch Vermittler kann nicht mehr vorausgesetzt werden. Es gilt, sich konsequent am neuen digitalen Selbstverständnis aller Kundengruppen auszurichten. Erforderlich sind eine hohe Transparenz und Effizienz der digitalen Informations- und Abschlussprozesse zu Versicherungsprodukten, sodass der Kunde selbstbestimmt agieren kann. Dass der Kunde sich eigenständig informiert und aktiv kauft, ergänzt bereits heute den personengebunden Versicherungsvertrieb und wird ihn zukünftig in weiten Teilen ersetzen.

Gastbeitrag von Martin Baumann, Industry Lead Insurance DACH bei Capgemini Invent und Mira Oetzmann, Consultant im Bereich Brand & Experience mit Schwerpunkt Insurance