"Das kann der gesamten Volkswirtschaft nur guttun"

16.07.2021

Dr. Michael Munsch Vorstand, Creditreform Rating AG / Foto: © Creditreform

Heute ist Creditreform Rating eine der größten Ratingagenturen Europas. Dennoch liegt ihr Marktanteil auf dem europäischen Markt bei gerade einmal 0,53 Prozent. Woran liegt das?

Dr. Munsch: Ja, trotz dieses auf den ersten Blick geringen Anteils gehören wir tatsächlich zur Spitze in Europa. Das mag für viele Menschen erst einmal merkwürdig klingen, aber es gibt dafür einen simplen Grund: Der Ratingmarkt ist ein Oligopol. Die „Big Three“, also die US-Agenturen Standard & Poors, Moody’s und Fitch, teilen derzeit über 90 Prozent des weltweiten sowie des europäischen Marktes unter sich auf. Ratings sollen unabhängig und objektiv erstellt werden und dazu dienen, Investoren möglichst zuverlässige Informationen zu fairen Preisen zu liefern – dass ein Großteil dieser Informationen jedoch von lediglich drei Parteien gestreut wird, schränkt den Wettbewerb natürlich sehr ein.

Warum haben sich ausgerechnet diese drei US-amerikanischen Agenturen durchsetzen können?

Dr. Munsch: Ausschlaggebend für diese Entwicklung in Europa ist, dass nur solche Papiere als notenbankfähig eingestuft werden, die über ein Rating von mindestens zwei Agenturen verfügen. Diese Agenturen müssen jedoch von der EZB als Teil des ECAF-Rahmenwerks zugelassen sein. Und genau hier beginnt die Problematik: Bisher erfüllen lediglich die „Big Three“ und eine kanadische Agentur diese Voraussetzung.

Insbesondere große Unternehmen und Organisationen wollen natürlich, dass ihre Schuldverschreibungen von der EZB berücksichtigt werden, weswegen ihnen oft nur der Weg zu den „großen“ Agenturen bleibt. Gleichzeitig werden auf dem Markt aber auch Stimmen lauter, die sich mehr Wettbewerb wünschen und die aktuelle Situation kritisieren. Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft beispielsweise nimmt kein Blatt vor den Mund: Das Rating- Oligopol schade den Investoren und Kapitalmärkten. Institutionelle Anleger seien de facto dazu gezwungen, Lizenzvereinbarungen mit einer der drei großen Agenturen abzuschließen, um Ratinginformationen zu erhalten. Diese nutzten ihre marktbeherrschende Stellung aus, um unverhältnismäßige Gebührenerhöhungen zu erheben, beklagt der Verband.

Werden kleine Ratingagentur von der Politik unterstützt bzw. gibt es Bestrebungen, den oligopolen Markt zu verändern?

Dr. Munsch: Im Großen und Ganzen sind die Bestrebungen seitens der Politik eher verhalten. Laut Regulierung sollen zwar kleine Anbieter von Ratings im Entscheidungsprozess für eine Ratingagentur berücksichtigt werden. Das gilt insbesondere im Bereich Structured Finance, wo Ratings von zwei Parteien vorgeschrieben sind. Allerdings wird nicht genau definiert, wie dieser Prozess eigentlich gestaltet sein muss und wie ausführlich die Prüfung für die Beauftragung einer kleinen Agentur sein sollte.

Ihr Ziel ist es, als eine der ersten europäischen Ratingagenturen überhaupt für das ECAF akkreditiert zu werden. Wie stehen ihre Chance und welche Herausforderungen stellen sich ihnen entgegen?

Dr. Munsch: Die Hürden für die Aufnahme durch die EZB sind hoch. Auch deshalb wird sich die Situation am Ratingmarkt nur langsam und schrittweise verändern. Als Agentur haben wir diversen Anforderungen nachzukommen, um uns für das Programm bewerben zu können. Als erste Hürde müssen wir zwei Drittel der Länder des Euroraums in mindestens drei von vier Vermögenskategorien bewerten. Dazu zählen ungedeckte Bankschuldverschreibungen, Unternehmensanleihen, gedeckte Schuldverschreibungen (Pfandbriefe) und Asset-Backed Securities. Das ist jedoch nur eine von vielen Voraussetzungen, die wir selbstbewusst angehen werden. Unsere Bewerbung für die Anerkennung bei der EZB haben wir für den Beginn 2022 geplant. Wie sich der Prozess entwickelt und welche Herausforderungen nach der Bewerbung auf uns warten, ist leider nur schwer nachvollziehbar bzw. vorhersehbar – bisher ist diesen Weg auch noch keine europäische Ratingagentur gegangen. Aber wir befinden uns auf einen vielversprechenden Weg und sehen uns gut gerüstet für die kommenden Aufgaben.

Warum kann eine europäische und EZB-akkreditierte Ratingagentur für die europäischen Finanzmärkte von Vorteil sein?

Munsch: Hiesige Agenturen können in wichtigen Fragen, zum Beispiel zur Bewertung notenbankfähiger Sicherheiten oder der Analyse der vielschichtigen Strukturen in Europa eine alternative Sicht als die Nordamerikaner einbringen. Eine neu geschaffene europäische Souveränität in diesem kritischen Bereich kann den Investoren, dem Kapitalmarkt und letztlich der gesamten Volkswirtschaft nur guttun. Wir setzten uns dafür ein, den Ratingmarkt fairer und transparenter zu machen.

Was erhoffen Sie sich von einer Akkreditierung durch die Europäischen Zentralbank?

Munsch: Es ist klar, dass wir unseren Marktanteil erhöhen wollen. Aber uns ist auch klar, dass wir nicht einfach zu den Big Playern aufzuschließen können. Das wäre zum einen gar nicht möglich, zum anderen wollen wir langfristig aufschließen. Innerhalb der nächsten zehn Jahre erhoffen wir uns, unseren Marktanteil in Europa auf rund 3 Prozent zu steigern. Die ersten Ratingagenturen etablierten sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts mit dem Ziel, für mehr Transparenz bei den Investitionen in das Eisenbahnnetz zu sorgen. Heute steht dieser Idee eine extreme Marktkonzentration entgegen – und zwar auf globaler Ebene. Im besten Fall können wir durch die Akkreditierung eine Vorreiterrolle einnehmen und gemeinsam mit anderen Agenturen zurück zu diesem Ursprungsgedanken kommen.