Corona, Merkel/Macron, EZB-Hilfen und die Aktienmärkte

29.05.2020

Guillaume de Martel (li), Head of Lyxor Deutschland und Torsten Reidel (re.), Geschäftsführer von Grüner Fisher Investments / Fotos: © Lyxor / Gruner Fisher

finanzwelt: Wie sehen Sie die Aktienmärkte angesichts der aktuellen Wirtschaftslage?

de Martel: Nach dem starken Aufschwung seit Mitte März traten risikoreiche Anlagen im Mai auf der Stelle. Auch wenn eine Flut geld- und fiskalpolitischer Anreize die historische Rezession, die sich vor unseren Augen entfaltet hat, zumindest teilweise in den Köpfen der Anleger kompensiert hat, konzentrieren sich die Märkte nun auf die nächsten Schritte. Mit der schrittweisen Aufhebung der Lockdowns können wir nach und nach mehr Klarheit sowohl über die wirtschaftlichen Auswirkungen der Krise als auch über einen möglichen Anstieg der Infektionsraten gewinnen. In einer U-förmigen Erholung - was unser zentrales Szenario ist - sollten sich die Unternehmensgewinne erholen können, was zu einer Verdichtung der Bewertungsmultiplikatoren führen würde. Da die Zinssätze länger auf einem niedrigen Niveau verharren sollten, bliebe die relative Attraktivität von Aktien unbestritten. Die Hauptrisiken ergeben sich aus unserer Sicht aus einem Anstieg der Schuldenquoten und der möglichen Ausfälle in der Unternehmenswelt in den nächsten sechs Monaten. Die Widerstandsfähigkeit der Bilanzen sowie starke Geschäftsmodelle bleiben daher bei der Auswahl unserer Investitionen ein wesentliches Entscheidungskriterium.

Reidel: Die Rückkehr zur wirtschaftlichen Normalität wurde bereits eingeleitet und die Aktienmärkte haben sich seit Mitte März etwas erholt. Doch sie werden weiterhin von einer hohen Volatilität geprägt sein, denn Aktienmärkte blicken immer in die Zukunft. Der entscheidende Faktor dabei ist nicht die Größenordnung einer etwaigen Rezession, sondern die Dauer der wirtschaftlichen Einschränkungen – und da ist noch vieles ungewiss. Gelingt die nahtlose Wiederaufnahme der wirtschaftlichen Aktivitäten? Droht eine zweite Infektionswelle? Wann kommt der Impfstoff? Rückwärtsgerichtete Wirtschaftsdaten spielen allenfalls eine untergeordnete Rolle. Die Aktienmärkte werden wieder anziehen, lange bevor wirtschaftliche Daten, Corona-Fallzahlen oder ein Impfstoff eine Aufhellung signalisieren. Es gilt nun abzuwarten, wie sich die gesellschaftliche und politische Haltung zu COVID-19 in den nächsten Wochen und Monaten entwickelt. Für investierte Anleger ist es in dieser Zeit enorm wichtig, sich nicht verunsichern zu lassen. Ansonsten besteht die Gefahr, einen großen Teil der Erholungsbewegung zu verpassen. (ah)