Corona, Merkel/Macron, EZB-Hilfen und die Aktienmärkte

29.05.2020

Guillaume de Martel (li), Head of Lyxor Deutschland und Torsten Reidel (re.), Geschäftsführer von Grüner Fisher Investments / Fotos: © Lyxor / Gruner Fisher

Die Infektionszahlen sind rückläufig, nun wird vermehrt das Auge auf die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie und des Lockdowns gerichtet. Was ist vom Merkel/Macron-Vorschlag zu halten und inwiefern sind die EZB-Hilfsprogramme ausreichend? finanzwelt bat Guillaume de Martel, Head of Lyxor Deutschland und Torsten Reidel, Geschäftsführer von Grüner Fisher Investments, um ihre Einschätzung.

finanzwelt: Was denken Sie über den Merkel/Macron-Vorschlag?

Guillaume de Martel: Das von der Europäischen Kommission vorgeschlagene Hilfspaket könnte ein erster Schritt in Richtung eines auf Gegenseitigkeit beruhenden europäischen Haushalts sein. Für die Unterstützung der Konjunktur sollen 750 Milliarden Euro mobilisiert werden. Verteilt über sieben Jahre wäre das im Vergleich zu dem, was wir in Ländern wie den Vereinigten Staaten und Japan sehen, nicht massiv. Umso stärker jedoch ist die politische Botschaft dahinter: Es ist notwendig und entscheidend, dass die europäischen Regierungen eine geschlossene politische Antwort geben, nicht nur, um die sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen der Covid-Krise abzumildern, sondern auch, um das Vertrauen in die Europäische Union wieder zu stärken. Das Hilfspaket bzw. der Wiederaufbauplan bedarf noch der einstimmigen Unterstützung durch die 27 EU-Staaten. In seiner jetzigen Form dürfte der aktuelle Vorschlag allerdings zweifellos Gegenstand heftiger Diskussionen auf dem nächsten Europäischen Rat sein. Dabei wären die als Subventionen für die bedürftigsten Länder vorgesehenen 500 Milliarden Euro der wohl umstrittenste Teil des Projekts, denn sie würden durch gemeinsame Schulden finanziert. Um hier voranzukommen, sollte die Frage nach den Eigenmitteln der Europäischen Kommission beantwortet werden. Steuern auf europäischer Ebene würden den Grundstein für diesen gemeinsamen Haushalt legen, der dann eben nicht nur auf nationalen Beiträgen beruhen würde. Eine gemeinsame Kontrolle der Steuern und Ausgaben könnte unter Umständen die „Sparsamen Vier“ EU-Länder etwas besänftigen, die nicht rückzahlbaren Zuwendungen widersprechen.

Torsten Reidel: Eine wirtschaftliche Erholung der EU wird wahrscheinlich nicht von Corona-Anleihen abhängen. Bei der Umsetzung solcher Pläne ist die EU notorisch langsam, was das Problem der Finanzierung von kurzfristigen Maßnahmen nicht löst.

finanzwelt: Ist die Reaktion der EZB auf die Pandemie ausreichend? Halten Sie es für notwendig, dass die EZB ihr PEPP-Programm oder ihre Liquiditätsmaßnahmen ausweitet?

de Martel: Auf den ersten Blick scheint die Reaktion der EZB aus zwei Gründen ausreichend. Erstens wegen des beträchtlichen Umfangs (fast 5 % des BIP) des 750 Milliarden Euro Pandemie-Notkaufprogramms und zweitens wegen der Flexibilität bei der Mittelverwendung durch eine tolerantere Nutzung des Kapitalschlüssels und der Nichtanwendung ihrer selbst auferlegten Kauflimits. Darüber hinaus könnte das breitere Spektrum an möglichen Papieren, die die EZB im Rahmen des Pandemie-Notkaufprogramms kaufen kann (beispielsweise Unternehmensanleihen nach einem Investment Grade Rating Downgrade, kurzlaufende Unternehmensanleihen (Commercial Papers) oder griechische Staatsanleihen) ein willkommenes Sicherheitsnetz bieten. Im Moment scheint das Programm also ausreichend, wie die engeren Spreads von Staaten und Unternehmen, aber auch das dynamische Wachstum der Bankkredite zeigen. Eine Verschlechterung der Wirtschaftsaussichten würde wahrscheinlich eine Ausweitung der Spreads rechtfertigen. Es könnten auch andere unkonventionelle Mechanismen in Betracht gezogen werden. Die FED ging zum Beispiel so weit, Unternehmensschulden auf dem Primärmarkt zu kaufen oder Geldmarktfonds zurückzukaufen. In Japan ist die BOJ heute ein wichtiger Eigentümer von Aktien-ETFs, aber dies sollte in Europa vorerst hoffentlich nicht auf der Tagesordnung stehen.

Reidel: In erster Linie sind die bisherigen Maßnahmen wichtig, um zeitliche Brücken zu bauen. Aber man sollte generell die Fähigkeiten der EZB nicht überschätzen. In kritischen Situationen ist es häufig der Fall, dass Anleger auf eine Art „Retter“ warten - egal ob Zentralbanken oder Regierungen. Retter waren aber noch nie nötig für Märkte und Wirtschaftskreisläufe, um sich zu erholen.

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