"Brexit: Ein Schritt vorwärts, zwei Schritte zurück?"

23.11.2018

Daniel Kehrbach, CIO von Merck Finck Privatbankiers / Foto: © MerckFinck

Bereits jetzt hat die britische Opposition die vorgelegte politische Erklärung kritisiert. Der Führer der oppositionellen Labour Party, Jeremy Corbyn, nannte sie "26 Seiten Geschwafel", das "das Schlimmste aller Welten darstellt: kein Mitspracherecht bei den weiterhin geltenden Regeln und keine Sicherheit für die Zukunft".

Auch wenn das Wort "berücksichtigen" in diesem Dokument 19 Mal verwendet wird, ist die Frage berechtigt, wie die politische Erklärung - wenn sie denn schließlich von allen Seiten gebilligt wird - die Zukunft der Beziehungen zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU gestalten würde; einschließlich einer Vielzahl von Bereichen von erheblicher wirtschaftlicher Bedeutung.

Im Handel sehen die beiden Seiten als "getrennte Märkte und getrennte Rechtsordnungen" eine "möglichst enge Beziehung vor, mit Blick darauf, rechtmäßigen Handel zu erleichtern".

Das sind recht vage Aussagen, die unbeantwortet lassen, inwieweit das Vereinigte Königreich künftig EU-Standards einhalten müsste, beispielsweise in Bereichen wie Wettbewerb, Steuern, Sozial- und Arbeitsschutz oder Umwelt. Deshalb drängt beispielsweise Frankreich darauf, dass das Vereinigte Königreich künftige europäische Richtlinien zum Klimawandel automatisch in das Gesetz aufnehmen soll, im Gegenzug für eine Einigung über den Handelspakt.

Bei den Finanzdienstleistungen wurde der Begriff "Passporting" durch "Equivalence" ersetzt, den weitaus strengeren Ansatz, den die USA und die Schweiz verfolgen. Das sind schlechte Nachrichten für die Banken in der Stadt.

Ein "No-Deal"-Szenario  wäre deutlich negativ für Investitionsentscheidungen und das Wirtschaftswachstum und würde die Aktienmärkte tiefer sinken lassen. Dies ist besonders wichtig für Unternehmen, die auf die britische Wirtschaft angewiesen sind, was vor allem bei kleinen und mittleren Unternehmen der Fall ist. Wenn sich positive Entwicklungen fortsetzen, dann trifft das Gegenteil zu: Die Märkte würden zumindest kurzfristig höher tendieren und britische Unternehmen könnten erleichtert aufatmen.

Nach Theresa Mays Ankündigung legte das Pfund deutlich zu und verzeichnete seinen größten Tagesgewinn seit drei Wochen. Aber 2019 wird für das Pfund Sterling entscheidend sein. Bis wir das endgültige Ergebnis der Verhandlungen kennen, ist es unmöglich, die zukünftige Richtung der Währung vorherzusagen. In jedem Fall würde ein No-Deal-Szenario jedoch Druck auf das Pfund ausüben.

Auch wenn der Prozess bei jedem Schritt zwei Schritte zurück zu gehen scheint, ist jeder Fortschritt eine gute Nachricht. Das sehen wir an den Devisenmärkten.

Der Beginn des formalen Brexit-Übergangsprozesses im März 2019 wird für die dringend benötigte Klarheit sorgen und wird sowohl dem Vereinigte Königreich als auch Europa helfen – und das, kurz nachdem das 2,5 Billionen Euro schwere „quantitative easing“ Programm der EZB endet.

Vorerst jedoch bleibt die Politik zum Brexit überaus heikel. Und in einer Zeit, in der die weltweiten Märkte sehr volatil sind und die Weltwirtschaft in die späten Phasen ihres Wachstumszyklus eintritt, erscheinen die Kosten für eine anhaltende Unsicherheit extrem hoch.

Auf Grundlage dieser aktuellen Gegebenheiten raten wir unseren Kunden weiterhin vorerst davon ab, in die britische Währung Pfund zu investieren bzw.  sich in englischen Anleihen und Aktien zu positionieren.

Wir beobachten den Brexit sehr genau und werden bei einer Veränderung der Situation unsere Empfehlung neu beurteilen.

Marktkommentar von Daniel Kerbach, Chief Investment Officer der Merck Finck Privatbankiers AG