Auslegung der Definition der Berufsunfähigkeit

11.02.2025

Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke. Foto: Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte

Individuelle Prüfung im Einzelfall

Damit ist in Fällen, in denen der Versicherungsfall erst lange nach dem leidensbedingten Berufswechsel eintritt, im Einzelfall individuell zu prüfen, ob es sachgerecht erscheint, auf die letzte Tätigkeit und nicht die Tätigkeit in gesunden Tagen abzustellen. Dies wäre anzunehmen, wenn die neue Tätigkeit dauerhaft ausgeübt wird. In der Rechtsprechung wird teilweise vertreten, dass nach Ablauf von fünf Jahren der vorherige Beruf nicht mehr als Anknüpfungspunkt für die Beurteilung der Berufsunfähigkeit zugrunde zu legen ist (LG München I, Urt. v. 13. 8. 2003 – 25 O 23486/02).

Dahingegen erscheint es allerdings sachgerechter, anstelle einer starren zeitlichen Grenze eine differenzierende Betrachtung anzustellen. Hierbei sollen neben der zeitlichen Entfernung der Anzeige des Versicherungsfalls auch die Erkenntnisse und Entscheidungen des Versicherten während und nach dem leidensbedingten Wechsel herangezogen werden. Je länger er nach Auftreten eines Leidens im neuen Beruf gearbeitet hat und je klarer ihm ursprünglich sein musste, dass die Berufsunfähigkeit im alten Beruf eingetreten ist, desto näher liegt es, nunmehr auf den neuen Beruf abzustellen (OLG Saarbrücken, Urt. v. 13. 11. 2013 – 5 U 359/12).

Fazit und Hinweise für die Praxis

Bei Vorliegen eines leidensbedingten Berufswechsels wird im Grundsatz auf den vor diesem Wechsel „in gesunden Tagen“ ausgeübten Beruf abgestellt. Der BGH stellt hierfür keine zeitliche Grenze und stützt seine Begründung auf die Auslegung der Definition der Berufsunfähigkeit in den Bedingungen, die eine Zeitgrenze nicht erwähnt. Möchte ein Versicherer sicherstellen, dass eine jahrelang ausgeübte Tätigkeit, in die der Versicherte leidensbedingt gewechselt ist, zum Anknüpfungspunkt wird, so muss er dies ausdrücklich regeln.

Da im Ergebnis eine Einzelfallbetrachtung notwendig ist, sind die vorgenannten Grundsätze auch sehr anfällig für Fehlentscheidungen durch die Berufsunfähigkeitsversicherungen, die so dann häufig einer juristischen Korrektur bedürfen (siehe dazu weiterführend: Der Ablauf des BU-Verfahrens). Aus diesem Grund sollte in Leistungsprüfungen stets darauf geachtet werden, dass der Versicherte selbst die „richtige Tätigkeit“ konkret beschreibt, und nicht selbst auf die „falsche Tätigkeit“ abstellt.

Ein Gastbeitrag von Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke, Partner der Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte und seit 2017 Fachanwalt für Versicherungsrecht.