Aufgeschoben ist nicht aufgehoben
06.03.2023
Rolf Ehlhardt, Vermögensverwalter, I.C.M. Independent Capital Management Vermögensberatung Mannheim GmbH / Foto: © I.C.M.
halb voll vs. halb leer
Um die Menschen bei zuversichtlicher Laune zu halten (was auch für die Wirtschaft förderlich ist), werden die Entwicklungen ausschließlich positiv dargestellt. Bei allen Politikern ist das Glas immer „halb voll“. Der Anleger sollte aber auch darauf vorbereitet sein, dass das Glas schon „halb leer“ ist. So würde eine Erholung in China auch die Rohstoffpreise wieder anziehen lassen. Der Ölpreis könnte dreistellig werden, zumal, wenn dann auch noch die Russen ihre Drohungen über Kürzungen der Fördermengen wahr machen. Zusammen mit den gestiegenen Löhnen würde die Inflation höher bleiben als derzeit angenommen. Als Folge könnten die Notenbanken die Leitzinsen länger hochhalten, als die Börsen derzeit eingepreist haben. Ein „Soft-Landing“ würde immer unwahrscheinlicher. Etliche Zombie-Firmen dürften dies nicht überleben. Abschreibungen bei den Kreditinstituten würden massiv weiter ansteigen. Die Bundesbank warnt bereits vor denkbaren gravierenden Schieflagen. Eine Folge wären auch einschneidende Ein-schränkungen bei der Kreditvergabe. Gleichzeitig wäre die Zinspolitik für die schon schwächelnden Immobilienmärkte eine weitere Belastung.
Die Neuvergabe von Baukrediten ist im 4. Quartal kräftig eingebrochen (USA: Hypothekenanträge -13,3 %, nach -7,7 %). Massiv gestiegen Baupreise und höhere Zinsen schlagen sich schon nieder. Ab 2025 könnten fällige Prolongationen von Darlehen zu Tiefstzinsen zu den dann höheren Bauzinsen scheitern und zu weiteren Abschreibungen führen. Fazit: Vorsicht bei Bankaktien, zumal nach der Performance der letzten Monate. Außerdem werden die staatlichen Hilfen auslaufen und gemäß vorliegenden Schätzungen auch die in der Pandemiezeit gesparten Gelder (vor allem in USA) in der 2. Jahreshälfte aufgebraucht sein. Ein Konsumeinbruch wäre die Folge. Spätestens wenn dann die Unternehmen doch zu Entlassungen schreiten, werden die Aktienkurse der veränderten Lage sicher Tribut zollen müssen. Kräftige Kursrücksetzer wären eine logische Konsequenz. Dann wäre die aktuelle Rallye eine Bullenfalle. Auch Rekord hohe Käufe (1,5 Mrd. täglich) von US-Privatanlegern sind ein Warnsignal. Kapitalanleger sollten diese Entwicklung zumindest einkalkulieren und/oder die Börsenweisheit berücksichtigen: An Gewinnmitnahmen ist noch niemand arm geworden. Oder wie Kostolany es ausdrückte: Ich habe mein Vermögen dadurch erhalten, weil ich immer zu früh verkauft habe.
Fazit
Auch die Edelmetalle laufen Gefahr noch einen Rücksetzer zu erfahren, bis dann Zinssenkungen der Währungshüter bzw. die Fantasie darauf die Kurse zu neuen Höchstkursen führen. Aufgrund der weltweit historisch hohen Verschuldungen sind steigende Zinsen nicht verkraftbar, da sie schnell und empfindlich wirken. So werden höhere Inflationsraten als das kleinere Übel gegenüber tiefen Rezessionen erscheinen. Besonders in den USA wird eine Stagflation die Staatsfinanzierung erschweren und ein neues QE hervorrufen. Der US-Dollar dürfte zur Schwäche neigen und Gold als „safe haven“ in den Vordergrund bringen. Da die Gold-Trusts und -ETF ́s über 10 % der Bestände abgegeben haben (Käufer waren wahrscheinlich östliche Notenbanken), trifft dann ein riesiges Geldvolumen unterinvestierter Anleger auf den relativ kleinen Goldmarkt. Ein bis zu zwanzigprozentiger Edelmetallanteil im Depot hilft dann mit, das Vermögen zu erhalten.
Kolumne von Rolf Ehlhardt, Vermögensverwalter, I.C.M. Independent Capital Management Vermögensberatung Mannheim GmbH