Anleger auf der Suche nach einem sicheren Hafen: Was tun gegen Volatilität und Stagflation?

27.04.2022

Dr. Ernst Konrad, Geschäftsführer und Lead Portfolio Manager bei Eyb & Wallwitz / Foto: © Eyb & Wallwitz

Zeitenwende im Portfolio

Seit dem Anziehen der Inflation im letzten Jahr und dem russischen Angriff auf die Ukraine hat sich das Marktumfeld aber deutlich gewandelt. Auf den Aktienmärkten hat die Volatilität selbst stabile Value-Titel im Griff und geopolitische „unknown unknowns“ lassen auch die Kurse vieler Staatsanleihen schwanken. Eine Korrelation, die so gut wie alle Assets erfasst hat. Selbst der Goldmarkt gilt vielen Anleger bereits als unsicher, da Russland seine riesigen Reserven jederzeit gegen ausländische Devisen eintauschen könnte. Die bittere Wahrheit: Ein wirklich sicherer Hafen ist derzeit nur schwer zu finden. Anleger sollten sich deshalb auf eine von Unsicherheiten geprägte Übergangsphase einstellen, bei der sie sich je nach Marktumfeld immer wieder neu positionieren müssen.

Dabei lässt sich bis auf weiteres von zwei Szenarien ausgehen: Dem Basisszenario der säkularen Stagnation samt anhaltender Inflation sowie dem Worst-Case-Szenario der Stagflation. Letzteres gilt vielen als Schreckgespenst der Stunde, das unheilvolle Erinnerungen an die 70er Jahre wach werden lässt. Damals wie heute löste ein Anstieg der Energiekosten eine tiefe Krise in den westlichen Industrienationen aus, die sich erst durch ein hartes Eingreifen der Zentralbanken überwinden ließ – die Rosskur des Volcker-Schocks. Ein Szenario, das nun erneut diskutiert wird und in den USA bereits ihren Niederschlag in den Erwartungen an die Notenbankpolitik gefunden hat. Anders die Situation in Europa, wo eine größere Abhängigkeit vom russischen Gas die Angst vor einer starken Rezession aufwirft. Gelähmt durch den Zielkonflikt von Inflationsbekämpfung und Konjunkturbelebung ist von der EZB hier kaum mit einem energischen Eingreifen zu rechnen, wenngleich Christine Lagarde bereits einen zeitnahen Abbau der EZB-Bilanzen angekündigt hat. Die Notkaufprogramme von Staatsanleihen werden also gedrosselt.

Zwischen den Szenarien

Letzten Endes sollte allen Beteiligten jedoch klar sein, dass seriöse Prognosen aufgrund der komplexen Auswirkungen der Energiepreissteigerungen samt möglicher Zweit- und Drittrundeneffekte derzeit mit besonders großer Unsicherheit zu genießen sind. Bis auf Weiteres gilt für Zentralbanker, Unternehmen und Anleger deshalb das gleiche Credo: Fahren auf Sicht. Anleger sind dabei gut beraten, auf regimeabhängige "Anti-Fragile-Assets" zu setzen. Mit anderen Worten: Je nach Inflations- und Wachstumsentwicklung gilt es in Zukunft zügig umzuschichten und zwischen verschiedenen Häfen zu wechseln. Im Fall unseres Basisszenarios bieten sich US-Finanzwerte an, die von traditionell von einem Zinserhöhungszyklus profitieren dürften, sowie Dienstleiter, die durch die Lockerung der Corona-Maßnahmen an Auftrieb gewinnen. Im Vorteil sind auch alle Unternehmen, die über ein „sturmerprobtes“ Geschäftsmodell verfügen und stabile Gewinnmargen aufweisen, z.B. Technologie- und Pharmawerte. Darüber hinaus können auch hochrentierliche Anleihen mit einer kurzen Laufzeit im Kampf gegen Inflation und Volatilität helfen. Tritt jedoch das Szenario einer Stagflation ein, sind Gold und Liquidität erste Wahl.