Zwischen Reiz und Reaktion
01.09.2013
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„Ich leiste, also bin ich", diese Grundmaxime der Erfolgreichen, der Leistungsträger, scheint ausgedient zu haben. Aber was kommt nach „Immer höher, weiter, schneller"?
Wir sind mehr als unser Erfolg. Gleichwohl werden wir getrieben von den Verpflichtungen und den äußeren Umständen, die wir uns selbst geschaffen haben. Viele Führungskräfte lieben ihren Job, identifizieren sich mit ihrer Aufgabe und finden darin Erfüllung und Bestätigung. Familie, Freunde und sogar die Gesundheit werden nicht selten der „Mission Job" untergeordnet. Mit fatalen Folgen! Die Anzahl von psychosomatischen Erkrankungen ist in den letzten Jahren rapide gestiegen. Leistungsdruck, ständige Erreichbarkeit, Hetze von Termin zu Termin, Ellenbogenmentalität und fehlende Tiefenentspannung sind dabei nur einige stressauslösende und krankmachende Faktoren.
Je nach Konditionierung fällt die Stressreaktion unterschiedlich heftig aus. „Ich darf keine Fehlermachen"; „Ich bin doch der Beste"; „Ohne Blutzoll geht nichts" – das sind möglicherweise Prägungen, die unser Verhalten beeinflussen und die als Stressverstärker wirken. Dabei liegt vieles zwischen dem Auftreten des Stressors und unserer Reaktion darauf, die Chance anders und vor allem gelassener zu reagieren. Trotzdem scheinen unsere Reaktionen auf bestimmte „Stressoren" automatisiert und immer nach gleichem Muster abzulaufen.
Dabei sind die Bedürfnisse nach Entschleunigung, nach Innehalten, nach Entspannung groß. Die „erprobten" Stressbewältigungsstrategien im Alltag sind höchst individuell und reichen von Sport, Essen, Konsum, Fernsehen bis zu kritischen Methoden wie dem Konsum von Alkohol, Nikotin, Drogen (Beruhigungsmittel etc.). Nebenwirkungen inklusive!!
Gibt es Alternativen? Die Lebenskunst der Achtsamkeit ist eine Methode der Selbstregulation – ohne Nebenwirkungen!!
Durch Achtsamkeit werden wir wieder aktiver Gestalter unseres Lebens. Wir gewinnen mehr Gelassenheit, höhere Flexibilität und vor allem unsere Selbstbestimmtheit zurück. „Tun" muss mit „Nicht-Tun" in Balance gebracht werden. Ein schwieriges Unterfangen, wenn wir uns ständig im Außen bewegen, uns Zukunftssorgen machen oder mit Vergangenem hadern. Ständig kreisen unsere Gedanken um Dinge, die noch zu tun sind oder die wir ohnehin nicht beeinflussen können. Dabei übersehen wir, dass nur im „Hier und Jetzt" unser Leben stattfindet. Achtsamkeit bedeutet, immer wieder zurückzukehren zur Gegenwart, alles was erscheint wahrzunehmen, ohne zu bewerten. Dadurch erschließen wir uns neue Ressourcen und verändern unser „Selbstbild".
Achtsamkeit bzw. Meditation sind dabei weit mehr als Entspannungsübungen, sondern die Möglichkeit, die Fülle des Lebens wahrzunehmen. Die Wirkung auf die Gesundheit, unser Wohlbefinden und unsere Leistungsfähigkeit wurde von Neurowissenschaftlern intensiv erforscht. Inzwischen liegen eindrucksvolle Forschungsergebnisse vor. Durch die sogenannte Neuroplastizität, d.h. Eigenschaft von ganzen Hirnarealen, sich in Abhängigkeit von der Verwendung in ihren Eigenschaften zu verändern, sind die die Auswirkungen von Meditation eindrucksvoll nachweisbar. Die Großhirnrinde verändert sich bereits nach wenigen Tagen Achtsamkeitstraining. Dieser Bereich ist u. a. für die Selbstwahrnehmung verantwortlich. D. h. wir erhalten ein bewussteres Gefühl für unseren Körper. Ferner wurde nachgewiesen, dass sich die Isolation der sog. Nervenzellfortsätze im Gehirn verbessert. Signale werden schneller weitergeleitet. Wir werden wacher, reagieren schneller und werden leistungsfähiger. Zudem führen die positiven psychischen Veränderungen von Achtsamkeitstraining zu einer erhöhten Aktivität des Enzyms Telomerase. Dieses Enzym ist u. a. wichtig für den Selbstreparaturmechanismus unserer Zellen. Durch die Anregungen der Produktion verjüngend wirkender Wachstumshormone wird zudem der biologische Alterungsprozess verlangsamt.
Der Wissenschaftler Jon Kabat-Zinn entwickelte 1979 im Medical Center von Massachusetts ein Achtsamkeitsprogramm für Schmerzpatienten, was als MBSR (Mindfulness Based Stress Reduction) weltweit anerkannt und erforscht ist. Im sogenannten 8-Wochen-Training lernen die Patienten einen verantwortungsvollen Umgang mit sich selbst, inmitten von Stress, Schmerzen und Krankheiten. Inzwischen wird MBSR auch für Stressreduktion und bei Burn-Out Prophylaxe erfolgreich angewandt.
Im Training der Achtsamkeit geht es nicht um Defizite, sondern um die Erschließung unserer persönlichen Ressourcen. Wir beobachten unseren Körper, unseren Geist und nehmen uns als Ganzes wahr. Durch die nicht wertende Betrachtung von Ängsten, Gefühlen, Emotionen werden wir uns deren Veränderbarkeit bewusst. In der Meditation nehmen wir diese Veränderung im Körper und im Geist wahr und kehren zurück an die Quelle des ewigen Seins und werden dabei ganz. Es entsteht eine tiefe Großzügigkeit und Dankbarkeit uns gegenüber.
Die Wirkung von Achtsamkeit ist längst in der Managementliteratur, darunter einigen Bestsellern, angekommen. Achtsamkeitstraining gibt es mittlerweile sogar beim legendären US-Marines Corps. Achtsamkeitsbasierte Soldaten sollen nicht so schnell in Panik geraten und besonnen reagieren. Verantwortungsvolle Unternehmen haben längst erkannt, dass angebotene Achtsamkeitskurse nicht nur von ihren Arbeitsnehmern gerne angenommen werden, sondern dass der Krankenstand sinkt und die Kreativität sowie Leistungsfähigkeit der Mitarbeiter deutlich zunimmt. Unternehmen wie der US-Konzern Google sind hier bereits Vorreiter einer neuen Unternehmenskultur, die von ihren Mitarbeitern eine gesunde Balance zwischen An- und Entspannung aktiv einfordert.
In Kursen können achtsamkeitsbasierte, weltanschaulich neutrale Techniken erlernt werden. Eine Grundvoraussetzung bildet jedoch der eigenverantwortliche Entschluss, sich auf diese spannende Reise einzulassen, dabei Gewohntes loszulassen um Raum zu schaffen für eine neue Kraftquelle.
„Zwischen Reiz und Reaktion gibt es einen Raum. In diesem Raum hat der Mensch die Freiheit und die Fähigkeit, seine Reaktion zu wählen. In diesen Entscheidungen liegen unser Wachstum und unser Glück." Dieses Zitat stammt von Viktor Frankl aus seiner Zeit als inhaftierter Häftling im KZ Auschwitz.
Die Fakten: Hauptursachen für Stress
- 43 % aller Erwerbstätigen geben an, dass Stress und Arbeitsdruck in den letzten 2 Jahren zugenommen haben (Stressreport 2012).
- Jeder Vierte leidet unter Stress am Arbeitsplatz.
- In der EU ist Stress das zweithäufigste Gesundheitsproblem.
- 41 % der Verrentungen in 2011 aufgrund verminderter Erwerbsfähigkeit erfolgte aufgrund psychischer Störungen (Vergleich Jahr 2000: 24 %).
- 90 % aller psychischen Störungen gehen auf das Konto von Depression und Belastungsstörungen (auch als „Burnout" bezeichnet).
- 2006 wurden knapp 27 Mrd. Euro für die Behandlung psychischer Erkrankungen ausgegeben. Das waren 3,3 Mrd. Euro mehr als noch 2002.Tendenz steigend.
- Nicht berücksichtigt: Präsentismus! Darunter versteht man die nicht eingebrachte Leistung anwesender Mitarbeiter, die unter Stress leiden. Das Phänomen ist längst bekannt. Neu hingegen ist die Erkenntnis, dass dieser Faktor die größte Geldverschwendung im Personalmanagement darstellt, denn er verursacht einen Produktivitätsverlust, der ca. 10 Mal größer ist als der der Fehlzeiten.
Weitere Infos auf www.forum-der-achtsamkeit.de
(Thomas F. J.Voss, Achtsamkeitstrainer und Managementcoach)