Zugleich ein Update im Fall Wirecard
19.10.2022
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Über zwei Jahre nimmt die Aufarbeitung des Wirecard-Skandals bereits in Anspruch. Nachdem Ansprüche gegen die mittlerweile insolvente Wirecard AG nur noch im Insolvenzverfahren geltend gemacht werden können, konzentriert sich die gerichtliche Aufarbeitung mittlerweile vornehmlich auf die Ernst & Young GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft (EY) als ehemalige Abschlussprüferin der Wirecard AG. Neben EY stehen derzeit auch die Abschlussprüfer der ebenfalls börsennotierten Grenke AG sowie der Adler Group S.A. wegen möglicherweise fehlerhafter Abschlussprüfung im Fokus der juristischen Aufarbeitung. Anlass genug also, für eine kurze Darstellung der Grundsätze der Abschlussprüferhaftung und ein Update im Fall Wirecard.
I. Grundsätze der Wirtschaftsprüferhaftung
Die Prüfung des Jahresabschlusses durch einen Wirtschaftsprüfer und insbesondere die Erteilung eines uneingeschränkten Bestätigungsvermerks ist eine wesentliche Basis für die Entscheidungen von Kreditgebern und (potenziellen) Investoren. Fehler bei der Prüfung können daher weitreichende Konsequenzen haben und gehen bei börsennotierten Gesellschaften in der Regel mit einem großen Vertrauensverlust an den Kapitalmärkten einher, welcher sich wiederum in erheblichen Preisabschlägen hinsichtlich der von der geprüften Gesellschaft emittierten Wertpapiere niederschlägt. So haben Gerüchte über fehlerhafte Abschlussprüfungen in den Fällen Wirecard, Grenke und Adler an den Börsen für erhebliche Kursverluste gesorgt. Aktionäre und Investoren mussten nicht nur im Fall Wirecard finanzielle Verluste hinnehmen.
Grundsätzlich hat der Abschlussprüfer seine Prüfung auf Basis ausreichender und angemessener Prüfungsnachweise durchzuführen. Potenzielle Prüfungsnachweise umfassen dabei sowohl Informationen, die sich aus den Rechnungslegungsunterlagen ergeben, als auch Informationen aus anderen Quellen.
Der Abschlussprüfer hat Prüfungshandlungen so durchzuführen, dass er ausreichende und angemessene Prüfungsnachweise erlangt. Ist nach den durchgeführten Prüfungshandlungen kein hinreichend sicheres Prüfungsurteil möglich, sind weitere Prüfungsnachweise einzufordern. Sind auch dann noch Zweifel an der Recht- und Ordnungsmäßigkeit der Rechnungslegung angebracht, ist der Bestätigungsvermerk einzuschränken oder zu versagen. Ein uneingeschränkter Bestätigungsvermerk trotz unzureichender Prüfungssicherheit verstößt gegen die Berufspflichten des Abschlussprüfers und führt zur Haftung gegenüber Dritten.
Eine fehlerhafte Abschlussprüfung begründet zunächst einen Anspruch der geprüften Gesellschaft gegenüber dem Abschlussprüfer. Bei der Prüfung börsennotierter Aktiengesellschaften besteht insoweit eine Haftungsobergrenze von 16 Mio. Euro. Diese Begrenzung bezieht sich jedoch nur auf die geprüfte Gesellschaft, weshalb der Abschlussprüfer gegenüber Dritten wie beispielsweise Aktionären und anderen Investoren generell unbegrenzt haftet. Ansprüche Dritter können sich dabei unter anderem wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung gemäß § 826 BGB ergeben. Sittenwidrig handelt der Abschlussprüfer dann, wenn er einem als unrichtig erkannten Jahresabschluss das Testat erteilt. Gleiches gilt, wenn er sein Testat „ins Blaue hinein“ erteilt und dadurch seine Rücksichtslosigkeit gegenüber den Adressaten seiner Erklärung offenbart oder sich der Einsicht in die Unrichtigkeit seines Bestätigungsvermerks grob fahrlässig verschließt. Letzteres ist insbesondere dann anzunehmen, wenn der Abschlussprüfer wichtige Angaben nicht überprüft, obwohl sie überprüfbar sind und auch aufgrund ihrer Bedeutung hätten überprüft werden müssen, bei Fragen von erheblicher Bedeutung oder bedeutsamen Angaben der prüfungspflichtigen Gesellschaft auf eine notwendige eigene Prüfung bewusst verzichtet, prüffähige wesentliche Angaben und Unterlagen ungeprüft übernimmt oder Verdachtsmomenten für Manipulationen nicht konsequent nachgeht. Ob diese von der Rechtsprechung aufgestellten Maßstäbe erfüllt sind oder nicht, ist stets eine Frage der lückenlosen Aufarbeitung des Sachverhalts. Die Durchsetzung von Ansprüchen gegenüber Wirtschaftsprüfern ist in vielen Fällen deshalb eine Herausforderung, weil geschädigte Dritte keinen Zugang zu internen Unterlagen und Informationen haben. Werden diese Fälle medial aufgegriffen, ändert sich dies oftmals. So kann z. B. in den Fällen Wirecard, Grenke oder Adler auf Ermittlungen der BaFin zurückgegriffen werden. Im Fall Wirecard leistete zudem der vom Deutschen Bundestag eingesetzte Untersuchungsausschuss einen entscheidenden Beitrag.
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