Zeit Makroszenarien und -politiken zu überdenken

01.06.2015

Karsten Junius,

Die vergangene und die aktuelle Woche sind überfüllt mit entscheidenden Daten und Ereignissen, die zu einer kritischen Analyse der gegenwärtigen Wirtschaftspolitik Anlass geben sollten.

Allen voran ist dabei in der Schweiz der Rückgang des BIP im ersten Quartal zu nennen, der nur der Auftakt für eine offizielle Rezession sein dürfte. Das ist kein Grund zur Panik, da die Schweizer Wirtschaft sich anpassen können sollte, aber die Gefahren, die mit einer Rezession und Deflation einhergehen dürfen auch nicht vernachlässigt werden.

Das in Griechenland nun bereits zwei Quartale rückläufige BIP kommt genauso wenig überraschend. Auch ist hier die Wirtschaftspolitik als Hauptverantwortlich für den Produktionsrückgang auszumachen, wenngleich mit weniger guten Gründen als das in der Schweiz der Fall ist. Es ist nun Zeit für die griechische Regierung, die Realität anzuerkennen, sie der eigenen Bevölkerung darzulegen und die Verhandlungsführung mit den internationalen Geldgebern anzupassen. Genauso ist es Zeit für die internationale Gemeinschaft zu überdenken, ob es angemessen ist, bei Griechenland regelmässig die Existenz von „deadlines", Regeln und Prozeduren zu übersehen. Die Verantwortung der europäischen Regierungen gehen weiter. Sie betreffen auch die Glaubwürdigkeit und die Nachhaltigkeit des gesamten europäischen Projektes. Ähnlich wird die EZB auf ihrem Treffen am Mittwoch prüfen müssen, ob sie die Notkredite an das griechische Bankensystem immer weiter ausweiten sollte und griechische Anleihen wie bisher als Sicherheiten akzeptieren kann, wenn der IWF bereits einen erneuten Schuldenschnitt ins Spiel zu bringen scheint. Eine klarere Botschaft von der EZB ist bezüglich des Anleihekaufprogramms zu erwarten. Präsident Draghi wird vermutlich bestätigen, dass die EZB ihre Ankäufe im vollen Umfang bis mindestens September 2016 auszuführen gedenkt und dass sie die Ankaufsvolumina den Liquiditäts- und Angebotsbedingungen am Rentenmarkt anpassen wird. Dies dürfte den Rentenmarkt kurzfristig unterstützen.

Auch für die USA wurde letzte Woche ein negatives BIP-Wachstum veröffentlicht. Allgemein erwartet wird, dass dies nur ein wetter- und streikbedingter Ausrutscher war. Das müssen die zuletzt weiter eher enttäuschenden Daten wie der Arbeitsmarktbericht am Freitag bestätigen. Sonst könnte auch das Fed seine Politik überdenken und die Zinswende erst später in Aussicht stellen. Ganz unabhängig davon ist auch ein weiterer Event nicht: Das OPEC-Treffen am Freitag. Eine grundlegende Entscheidung, die bisherigen Förderquoten radikal anzupassen, ist nicht unbedingt in Sicht. Sie hätte aber das Potenzial den makroökonomischen Datenkranz komplett durcheinander zu würfeln.

Autor: Karsten Junius, Chefvolkswirt, Bank J. Safra Sarasin