Vom Sparer zum Anleger?
08.02.2021
Prof. Oscar A. Stolper - Foto: © Uni Marburg
Die Deutschen machen ihrem Ruf als Sparweltmeister weiter alle Ehre: Das Finanzvermögen der deutschen Privathaushalte hat sich in den vergangenen 20 Jahren mit einem Plus von 95 Prozent nahezu verdoppelt. Paradoxerweise landet das meiste Geld der Sparerinnen und Sparer jedoch weiterhin auf dem Girokonto.
Dies sorgt dafür, dass allein 2019 jeder Bundesbürger mit Ersparnissen auf dem Giro- und Tagesgeldkonto sowie in Termin- und Spareinlagen im Schnitt 380 Euro verloren hat. Dieser Wert dürfte in der Corona-Pandemie sogar noch angestiegen sein. Dies ergibt eine Studie von Prof. Oscar A. Stolper von der Philipps-Universität in Marburg für Union Investment.
Seit dem Jahr 2000 ist demnach der Anteil von Bargeld und Sichteinlagen am gesamten Geldvermögen der Deutschen von 10 Prozent auf 28 Prozent angewachsen und hat sich damit nahezu verdreifacht. Das Vermögen, das Sparer auf ihren Girokonten zusammengetragen haben, ist dadurch innerhalb von zehn Jahren um etwa 960 Milliarden Euro gestiegen. Alleine in den letzten drei kamen knapp 400 Milliarden Euro hinzu, was über 40 Prozent der gesamten Summe entspricht. Mit dieser Form des Sparens ist jedoch keine Rendite zu erzielen.
Vermögen wächst nicht mehr durch Zinsen, sondern nur durch Sparen
Der Anteil, den Erträge wie Zinsen und Kurszuwächse an der Vermögenszunahme ausmachen, befindet sich seit Jahren im freien Fall. Vor einer Dekade betrug er noch 71 Prozent. Durch den Rückgang der Zinsen ist dieser Anteil auf 25 Prozent abgestürzt. Der Kapitalzuwachs speiste sich in 2019 bei denen, die ihr Geld auf Tagesgeld-, Festgeld- und Sparkonten halten, zu 98 Prozent – also fast vollständig – aus Sparanstrengungen.
„Das beachtliche Finanzvermögen der Deutschen ist besonders in den letzten Jahren vor allem durch Konsumverzicht entstanden“, erläutert Prof. Stolper. „Wenn die Menschen mit dem Girokonto sparen, dann kann man eigentlich nicht von Geldanlage, sondern nur von Geldablage reden“, kommentiert Giovanni Gay, Geschäftsführer bei Union Investment.
Deutsche haben in nur zehn Jahren 130 Milliarden Euro verloren
Auch wenn sich viele Sparerinnen und Sparer möglicherweise mit dieser Situation abgefunden haben, kaschieren die enormen Zuwächse bei den absoluten Zahlen den Wertverlust, der dahinter liegt. Rund 1.900 Milliarden Euro des gesamten deutschen Finanzvermögens sind Sichteinlagen, deren Realverzinsung (Zins abzüglich Inflationsrate) in den vergangenen zwanzig Jahren nahezu ausnahmslos negativ war.
Seit 2010 haben die Deutschen auf diese Weise in Summe einen Wertverlust von etwa 130 Milliarden Euro erlitten, davon knapp 100 Milliarden Euro allein in den drei Jahren zwischen 2017 und 2019. Statistisch betrachtet verlor jeder Bundesbürger allein im Jahr 2019 im Schnitt etwa 380 Euro. Mit dem Rekordzuwachs bei Giroguthaben, der im Zuge der Corona-Pandemie derzeit in Deutschland beobachtet werden kann, hat dieser Kaufkraftverlust im laufenden Jahr sogar noch an Geschwindigkeit zugenommen. „100 Euro bleiben nur 100 Euro, wenn wir die Inflation schlagen und der Realzinsfalle entkommen. Das gelingt mit unseren beliebtesten Sparformen allerdings nicht. Um der Realzinsfalle zu entkommen, führt kein Weg an aktienbasierten Anlagen vorbei“, betont Gay.
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