Starker Anstieg der realen Renditen

21.10.2022

Vorsitzender des AXA IM Investment Institute und CIO von AXA IM Core / Foto: © AXA IM

Viel mehr Risikofaktoren als nur der Zins

Insgesamt scheint der Konsens weiter darin zu bestehen, dass der Inflationszyklus bald seinen Höhepunkt erreichen wird (das ist nun schon seit fast einem Jahr der Fall) und dass damit der Zinszyklus endet. Darüberhinausgehende Überlegungen sind schwierig, weil die Gewissheit, wann dies tatsächlich eintritt, schwer zu fassen ist. Aber es gibt noch eine ganze Reihe anderer Unwägbarkeiten: das Ausmaß der weltweiten Konjunkturabschwächung und die damit verbundenen sozialen, wirtschaftlichen und politischen Folgen, das Potenzial einer alarmierenden Eskalation des Krieges in der Ukraine oder eine Verschlechterung der Beziehungen zwischen den USA und China im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen 2024. Wäre die Zinsentwicklung das Einzige, worüber wir uns Sorgen machen müssten, wäre das in Ordnung. Dem ist aber nicht so. Der Vorschlag der Biden-Regierung, die US-Halbleiterexporte nach China zu beschränken, belastete bereits die Aktienkurse der Chiphersteller.

Kurzfristige Anleihen einer der wenigen sicheren Orte

Das Spannungsfeld zwischen günstigen (und immer günstiger werdenden) Bewertungen und unsicheren Fundamentaldaten wird sich nicht bald auflösen. Gerade wenn ein Portfolio in diesem Jahr bereits erheblichen Schaden genommen hat und die Volatilität hoch bleibt, ist das Investieren von Barmitteln auf Grundlage einer langfristigen Perspektive eine Herausforderung. Weitere finanzielle Stresssituationen sind wahrscheinlich – wenn es im normalerweise recht behäbigen britischen Pensionssektor passieren kann, kann es überall passieren. Kurzfristige festverzinsliche Wertpapiere scheinen vorerst einer der wenigen sicheren Orte zu sein.

Ist die Gewinnrezession eingepreist?

Die derzeitige Berichtssaison für Aktien dürfte aufschlussreich sein. Das Kursgeschehen auf Marktebene – in allen Regionen – und auf Einzeltitelebene scheint bereits einen Großteil dessen, was eine Gewinnrezession ausmachen sollte, eingepreist zu haben. Unser britisches Aktienteam kennt viele Beispiele und angesichts dessen, was mit dem britischen Pfund passiert ist, bleibt der britische Markt in absoluten Zahlen und im Vergleich zu globalen Aktien günstig.

Übertriebener Anstieg der realen Rendite

Ein Trost ist, dass der Anstieg der Realrenditen übertrieben zu sein scheint. Im Vergleich zum langfristigen Trend ist der Anstieg der zehnjährigen US-Realrendite – gemessen am Markt für inflationsgeschützte Staatsanleihen – jetzt noch extremer als während der globalen Finanzkrise. Die aktuelle reale Rendite von 1,6 % liegt weit über früheren Schätzungen des realen langfristigen Gleichgewichtszinssatzes. Wenn sich die reale Rendite stabilisiert oder sinkt, wäre dies ein sehr gutes Zeichen für alle Märkte – der Rückgang der Aktien-Multiples würde aufhören, Wachstumsaktien würden besser aussehen als Value-Titel und die Anleiherenditen würden sich stabilisieren. Die realen langfristigen Renditen werden wohl nicht wieder tief in den negativen Bereich abtauchen – die Zentralbanken sind heute weniger wichtige Staatsanleihekäufer, da sie sich aus den Quantitativen Lockerungen zurückziehen und sich das globale Reservewachstum verlangsamt hat –, aber sie sollten nicht weiter steigen.

Abklingende Schockwellen?

Die vielfältigen Kräfte, die das derzeitige Niveau der Marktvolatilität verursachen, können von Analysten weder verstanden noch erklärt und schon gar nicht vorhergesagt werden. Die Schocks der vergangenen Jahre für die Weltwirtschaft sind tiefgreifend – Covid-19, der Energieschock und der Übergang zu einem neuen Zinsregime. Ein bestimmtes Datum, an dem die Faktoren aufhören werden, die Wirtschaft und die Märkte zu beeinflussen, gibt es nicht. Aber die Amplitude der Schockwellen sollte abnehmen und eine gute Bewertung an den Märkten sollte uns wieder positive Anlagerenditen bescheren.

Marktkommentar von Chris Iggo, CIO Core Investments bei AXA Investment Managers, zu aktuellen Entwicklung der Finanzmärkte.