Russland: mehr Trugbild als Chancen
01.03.2017
Christophe Bernard / Foto: © Vontobel
Zum Instrumentarium der sanften russischen Macht gehören das Hacken von sensiblen Computersystemen und die Verbreitung von "alternativen Fakten" über westliche Medien. Der Kreml hat sich offenbar in die US-Präsidentschaftskampagne eingemischt und könnte auch versuchen, die bevorstehenden Wahlen in Frankreich und Deutschland zu beeinflussen. Der Sieg Donald Trumps schien Russland in die Hände zu spielen und den Weg freizumachen für einen grossen Deal zwischen zwei starken Männern. Ein solcher Pakt könnte unter Umständen die Anerkennung der Einflusssphäre Russlands, eine Kooperation bei der Bekämpfung des islamistischen Terrors oder die Aufhebung der westlichen Wirtschaftssanktionen gegen Moskau beinhalten. Angesichts der Unberechenbarkeit der neuen US-Regierung könnten sich die Dinge jedoch auch ganz anders entwickeln. Donald Trump ist in einen ersten Skandal verwickelt, in dem es um Russland geht und der zur Entlassung seines nationalen Sicherheitsberaters Michael Flynn führte. Eine schnelle Verständigung mit Wladimir Putin ist somit möglicherweise vom Tisch.
Russland expandiert flächenmässig, nicht wirtschaftlich
Das grösste Land der Welt ist mit der Annexion der Krim noch grösser geworden, der Wirtschaftsmotor stottert jedoch nach wie vor. Russland befindet sich seit zwei Jahren in einer Rezession. Dafür sind zum einen der Ölpreisverfall, zum anderen die westlichen Wirtschaftssanktionen infolge der Landnahme verantwortlich. Allerdings war der makroökonomische Schock weniger schwer als in den früheren Krisenjahren 1998 oder 2009. Dies war hauptsächlich der unabhängigen Notenbankchefin Elwira Nabiullina zu verdanken, die eine nach westlichem Vorbild ausgerichtete Notenbankpolitik betreibt. Sie liess den Rubel im Zuge des Ölpreisrückgangs abwerten und erhöhte die Zinsen, um die Inflation zu kontrollieren. Die Finanzreserven, die Russland seinen Öleinnahmen verdankt, erwiesen sich als nützliche Geldquelle im Staatshaushalt zur Abfederung des Abschwungs. Das Bankensystem bewältigte die Rezession ziemlich gut und in der Leistungsbilanz resultierte weiterhin ein Überschuss. Insgesamt hat sich die Wirtschaft stabilisiert, doch die Erholung dürfte nur schleppend verlaufen. Russland ist zu stark von fossiler Energie abhängig (70 Prozent der Exporte, 50 Prozent der Staatseinnahmen). Ohne eine Stärkung der Rechtsstaatlichkeit und der Eigentumsrechte sowie unter der Annahme, dass die Sanktionen des Westens bestehen bleiben, ist ein zukünftiges Wirtschaftswachstum von über 1 Prozent bis 1.5 Prozent kaum vorstellbar.
Wo steht Russland politisch? Obwohl die russische Bevölkerung der Wirtschaftspolitik des Landes eher schlechte Noten ausstellt, geniesst Wladimir Putin für seine forsche Aussenpolitik breite Unterstützung. Der Herr über den Kreml, der seit 1999 ununterbrochen an der Macht ist, dürfte nach den Wahlen im März 2018 weiter im Amt bleiben. Dies würde Putin ein Jahrhundert nach der Abdankung von Nikolaus II. geradezu die Statur eines Zaren verleihen. Das Verlangen nach starken Herrschern in Russland scheint die einzige historische Konstante, alles Übrige ist ungewiss.
Russische Aktien für Engagement im Ölbereich unnötig
Werfen wir nun noch einen Blick auf die Finanzmärkte. Die globalen Aktienbörsen sind vor Kurzem auf Rekordstände geklettert. Allerdings sollten sich die Anleger keine falschen Vorstellungen machen. Die populistischen Programme, sofern sie Erfolg haben, dürften mit der Zeit das Weltwirtschaftswachstum bremsen und eine Gefahr für die Margen der globalen Konzerne darstellen.
Angesichts der politischen Aussichten für Russland scheint momentan jede Hoffnung auf eine nachhaltige Verbesserung in den Bereichen Corporate Governance oder Aktionärsrechte fehl am Platz. Der lokale Markt bleibt eine Wette auf die Ölpreisentwicklung und die Bewertungen sind optisch günstig. Dennoch finden Anleger, die mittelfristig einen Anstieg des Ölpreises erwarten, unseres Erachtens ausserhalb des Moskauer Aktienmarktes bessere Anlagechancen.
Markkommentar von Christophe Bernard, Vontobel-Chefstratege