Rote Prinzen

30.08.2021

Guido vom Schemm, Geschäftsführer GVS Financial Solutions / Foto: © GVS

Seit Februar 2021 entkoppelt sich der chinesische Aktienmarkt mit seinen Schwergewichten Alibaba und Tencent vom MSCI World. Vor allem die genannten Top-Tech-Unternehmen standen unter massivem Druck, da sich einige roten Prinzen innerhalb Chinas bekämpfen. Hat der chinesische Aktienmarkt das Beste hinter sich oder kommt demnächst die große Aufholjagd? Ist China ein Vorlaufindikator für Europa und die USA? Anlegern sollte klar sein, dass der Sack Reis in China mittlerweile ein ordentliches Gewicht an den Finanzmärkten hat. Daher müssen Anleger die Entwicklung genauestens verfolgen.

Machtkampf der roten Prinzen

In den Gründungstagen der Volksrepublik China nahmen zahlreiche hochrangige Vertreter aus Wirtschaft und Politik – die „roten Prinzen“ eben -  am langen Marsch mit Gründervater Mao teil. Sie und ihre Nachkommen sicherten sich hohe Posten innerhalb der Partei, besetzten wichtige Machtpositionen und strebten nach Reichtum.

Die Ant Group von Alibaba Gründer Jack Ma hat ihren Hauptsitz im südchinesischen Hangzhou, der Einflusszone des mächtigen Clans von Jiang Zemin. Der frühere Parteifunktionär kommt aus der Südprovinz Jiangsu und hatte sukzessive den Süden Chinas wirtschaftlich erobert. Daher zieht er nun die roten Fäden im Hintergrund, dies ist dem China-Chef Xi Jinping ein Dorn im Auge. Der Clan um Xi Jinping, dessen Vermögen längst im Milliarden-Dollarbereich verortet wird, möchte die Vorherschafft auch in diesem Teil der Volksrepublik China einnehmen. Jack Ma hatte sich jedoch  widersetzt, dass Xi Jinpings Clan mehr Macht und Einfluss bei Alibaba erhielt. Alibaba ist somit zwischen die Fronten zweier mächtiger Prinzen geraten und die Aktionäre durften diese Pekingsuppe vorerst auslöffeln.

Ausländische Investoren bei Alibaba und Tencent vorerst abgeschreckt

Vor allem ausländische Investoren haben verstärkt Aktien von Alibaba und Tencent auf den Markt geschmissen. Besonders während des Börsenhandels in den USA standen die Papiere auf den Verkaufszetteln. Viele scheinen durch die politischen Eingriffe verunsichert, denn ein Ende der innerchinesischen Repressalien ist derzeit nicht in Sicht. Wird hier aber durch die Hintertür der Handelskrieg USA-China neu belebt, um die technische Vorherrschaft von den US-Techgiganten zu sichern? Die USA dürfte die Entwicklung in China mit einem breiten Grinsen begleiten, denn für China steht eine Menge auf dem Spiel.

Alibaba und Tencent sind echte (Tech-)Schwergewichte. Mit knapp 250.000 bzw. 100.000 Mitarbeitern, einem Umsatz jeweils im dreistelligen Milliardenbereich und einem der höchsten Forschungsetats in China sind die Firmen erfolgskritisch, nicht nur innenpolitisch, sondern auch für die wirtschaftliche Expansion und Vormachtstellung Chinas.

Techkrise in China als Kaufgelegenheit – Bewertung historisch günstig

Chinesische Techgiganten zu Ausverkaufspreisen, Zeit also für einen Einstieg? Diese Fragen stellen sich viele Anleger aktuell.

Wenn ein Unternehmen seinen Umsatz zweistellig pro Jahr steigert, die Gewinne kontinuierlich ausbaut, seinen Burggraben / Wettbewerbsvorsprung verteidigt, eine attraktive Bilanz aufweist und dann noch bei einem 2022e-KGV von 16,7 oder 22,4 notiert,  dann wäre es schon sträflich, sich nicht zu engagieren.

Chinas Führung mag nach westlichen Standards nicht immer intuitiv handeln, jedoch verlieren Chinesen langfristig nie ihr Ziel aus den Augen.  Auch in Russland lernten Anleger mit politischen Risiken umzugehen und genießen dort eine zusätzliche Risikoprämie. Warum also nicht die Risikoprämie bei Qualitätsunternehmen im Reich der Mitte abschöpfen?

Gastbeitrag von Guido vom Schemm, Geschäftsführer GVS Financial Solutions